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Nur noch Notnägel für die Kids

Eine Anhörung der Bündnisgrünen offenbart die Krise der Jugendarbeit: Das Land zieht sich entgegen gesetzlicher Verpflichtung aus der Regelförderung von Jugendprojekten zurück  ■ Von Christian Füller

Unter Jugendarbeitern macht sich Zynismus breit. „Demnächst wird wohl ein Spezialprogramm zur Befriedung von Campingplätzen aufgelegt.“ Mit der Anspielung auf prügelnde Halbwüchsige in Zeltstädten karikierte Manfred Kappeler, Pädagogikprofessor an der Technischen Universität (TU), den Trend der staatlichen Aufgabe Jugendarbeit: Kontinuierliche Freizeit- und Bildungsarbeit mit Jugendlichen werde abgewickelt. Gleichzeitig verabschiede die Politik die dringend erforderlichen Notprogramme. „Kurzfristige Präventionsinstrumente“ seien das, klagte Kappeler, aber mit Jugendarbeit habe das nichts zu tun. Sein Resümee teilten die Teilnehmer einer Anhörung der Bündnisgrünen zur Zukunft der Jugendarbeit am späten Dienstag.

„Den Jugendprojekten geht der Arsch auf Grundeis“, formulierte die Moderatorin und bündnisgrüne Abgeordnete Jeannette Martins drastisch. Die Furcht vor Kürzungen ist berechtigt. Gerade in den Ostbezirken sind Jugendeinrichtungen reihenweise gefährdet: Das Pankower Jugendamt führt dieser Tage Gespräche mit freien Trägern über deren Zukunft. In Friedrichshain steht die Erziehungs- und Familienberatung der Begegnungsstätte „Das Haus“ auf der Kippe. In Mitte kämpfen „Flipp“ und „Kreativhaus“ ums Überleben.

Den Grund für die Krise sieht die Jugendarbeiterszene in einem „Rechtsbruch“ durch das Land Berlin. Das Abgeordnetenhaus hatte 1995 die Jugendverwaltung per Gesetz verpflichtet, „daß der angemessene Anteil für die Jugendarbeit mindestens zehn vom Hundert der bereitgestellten Mittel zu betragen hat“. Diese Maßgabe werde um 80 Millionen Mark unterschritten, gestand Anne Lersch vom Landesjugendamt, „da gibt es keinen Zweifel“. Am Dienstag betonten die TeilnehmerInnen des Hearings, daß der zweistellige Millionenbetrag, den das Land schuldig ist, kein rechnerischer ist. Das Geld werde dringend benötigt. Das auslaufende Sonderprogramm „Jugend mit Zukunft“ müsse in die sogenannte Regelförderung überführt werden. Mit dem Geld könne zudem den unsicher finanzierten Jugendeinrichtungen im Osten der Stadt eine Perspektive gegeben werden.

Der Landesjugendring hat das Land vor dem Verwaltungsgericht verklagt, den Fehlbetrag von 80 Millionen Mark aufzufüllen. Zu den Chancen der Klage sagte der Verwaltungsrechtler Peter Weiß, daß die gesetzliche Selbstverpflichtung des Abgeordnetenhauses nicht etwa eine „weiche Pflichtaufgabe“ sei. „Pflichtaufgabe ist Pflichtaufgabe, da gibt es nicht hart oder weich“, so Weiß, der 1990 Sachverständiger bei der Reform des Kinder- und Jugendhilfegesetzes war. Ursula Westphal-Georgi von der Senatsverwaltung für Arbeit konnte indes keine Hoffnung machen, daß Arbeitsmarktinstrumente in der Jugendarbeit aushelfen könnten. „Wir können die Regelförderung nicht mehr ersetzen“, betonte die Senatsmitarbeiterin. Nach der Wende sei ihr Haus als Zwischenfinanzier eingesprungen, „um im Osten der Stadt Projekte aufzubauen“. Nach den neuen ABM-Richtlinen gehe das nicht mehr.

Im Moment verdienen 2.600 JugendarbeiterInnen durch Lohnkostenzuschüsse oder ABM ihren Unterhalt.

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