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Von der Fassadensanierung zur Haushaltssanierung

■ Stadtreparaturfonds: das schwarze Loch des Stadtsäckels und der heimliche Geschäftsführer der Bremer Stadtplanung von Dieter Mützelburg

n der Schule Oderstraße muß mehr als der Anstrich erneuert werden. Die Mobilbauklassen auf Schulhöfen in der ganzen Stadt verrotten. Für den Umbau eines Klassenzimmers der Schule Philip-Reis-Straße fehlen plötzlich 60.000 Mark. Deshalb müssen trotz gerade bestätigten Verfassungsrechts auf integrativen Unterricht für behinderte Kinder diese auf eine weit entfernte Sonderschule. Solche Nachrichten sind seit Jahren Alltag im Bildungszentrum Bremen.

Stadtreparatur auf Elterndruck

Abhilfe hatte die Landesregierung versprochen. „400 Millionen Mark für Reparaturfonds“ meldete der Weser-Kurier am 4. Dezember 1995. Verwaltungsgebäude, Straßen, Schulen und Kindertagesheime sollten damit auf Vordermann gebracht werden. Für eine Milliarde Mark hatten die Fachressorts damals Reparaturbedarf angemeldet.

Mit dem Auftrag des Senats an die Verwaltung, bis Januar 1996 eine Prioritätenliste für die Reparatur vorzulegen, um dann gleich die Handwerkerkolonnen in Bewegung zu setzen, schien ein Bürgerschaftsbeschluß noch aus der Zeit der „Ampelkoalition“ endlich eingelöst.

Im Dezember 1994, im Vorfeld der Neuwahlen '95, hatte der Zentralelternbeirat Krach geschlagen und öffentliche Kampagnen gegen den Senat organisiert. „Unsere Kinder sollen Unterricht im Trockenen haben“ war die Parole gegen undichte Schuldächer. Ein Volksbegehren wurde angekündigt.

Aufgeschreckt forderte die Bürgerschaft auf Initiative der Grünen den Senat auf, ihr zum Frühjahr (1995) zu berichten, wie in einem Programm „Sanierung öffentlicher Bauten“ die notwendigen Reparaturen durchgeführt werden würden. Dazu kam es wegen des vorzeitigen Endes von Senat und Parlament nicht mehr. Stattdessen versprachen CDU und SPD in ihrer Koalitionsvereinbarung: „Unter dem Aspekt 'Lebensqualität durch Stadterneuerung' ist ein Haushaltstopf mit bis zu 100 Millionen Mark p.a. einzurichten, der für dringend erforderliche Sanierungsmaßnahmen am Gebäudebestand zur Verfügung steht.“

Das schwarze Loch

Alles klar? Nichts war klar. Zwar beschloß der Senat im Februar die Aufteilung der Mittel für 1996 und schrieb in den Haushaltsentwurf für 1996 und 1997 jeweils die Zahl 100 Millionen Mark für Stadtreparatur hinein. Der Beschluß war wertlos: ohne beschlossenen Haushalt gab's keine Stadtreparatur. Der Haushalt aber wurde erst im Juni beschlossen. Und bis dahin war viel passiert. Der Stadtreparaturfonds, wie er mittlerweile hieß, wurde zum schwarzen Loch, in dem die Reparaturanträge der Ressorts verschwanden und aus dem der Senat sich Lösungen für seine Haushaltsprobleme griff.

Es begann mit dem Sporthaushalt. Dem fehlten drei Millionen Mark für Übungsleiter und Sportförderung. Senator Nölle wollte seinen Parteifreund Eckhoff, Sprecher der Sportdeputation, nicht im Regen stehen lassen und bot ihm Hilfe aus dem Reparaturfonds an. Als Ende Mai klar wurde, daß der Haushalt für '96 große weiße Flecken zeigte, griff Nölle wieder ins Loch und holte 50 Millionen zum Haushaltsausgleich heraus. Der Topf wurde auf die Hälfte des vorgesehenen Betrages gekürzt.

Da das Loch aber immer noch gut gefüllt schien, griffen auch andere Senatoren mit Hilfe von Senatsbeschlüssen zu. Die Jugendsenatorin hat kein Geld für den gesetzlich vorgeschriebenen Kindergartenausbau: 8 Millionen aus dem Fonds halfen. Innensenator Bortscheller braucht Geld für den Umzug der Polizei in die Vahr, der Fonds hilft mit 29 Millionen. Das Kunstressort will neue Kunstwerke und Stadtteilmuseen schaffen, der Stadtreparaturfonds zahlt eine Million für die ABM-Kräfte, die das erledigen sollen.

Gefragt, warum der Abriß des Herbert-Ritze-Bades unter Stadtreparatur fällt, erklärt der Finanzsenator: „Abriß ist die radikalste Form von Sanierung“. Da wundert es nicht, daß das Sportressort die Torraum-Sanierung auf dem Fußballplatz des TuS Arsten aus dem Stadtreparaturfonds bezahlt.

Repariert wird auch – ein bißchen. 1996 darf das Schulressortzwei Millionen ausgeben und 1997 mindestens 24 Millionen, für die jetzt der Haushaltsausschuß grünes Licht gab. Bei einem Reparaturbedarf von fast 100 Millionen Mark für Schulen reicht das weder hinten noch vorne. Auch das Bauressort darf für 12 Millionen Straßen und Radwege flicken, womit es ungefähr den Betrag erreicht, den es 1994 für den gleichen Zweck hatte, was auch damals schon nicht reichte. Womit erklärt wäre, warum viele Schulen auch weiterhin den Charme der späten DDR ausstrahlen werden und die Radwege weiterhin aussehen wie beim Querfeldein-Rennen.

Erstes Fazit: Das Stadtreparatur-Geld kommt nicht bei denen an, denen es eigentlich versprochen war. Von den für 1996 und 1997 im Haushalt eingesetzten 200 Millionen für Stadtreparatur wurden und werden rund 120 Millionen für andere Zwecke ausgegeben. Diese Zwecke können – wie das Kindergartenausbauprogramm – zwar gut sein, aber das ändert nichts daran, daß der Senat mogelt. Öffentlich verspricht er Stadtreparatur und tatsächlich stopft er mit dem dafür vorgesehenen Geld Haushaltslöcher.

Geld ist zwar keins da

Im übrigen, das schwarze Loch ist bisher leer. Das Geld, das herausgeholt wird, ist bisher gar nicht im Topf. Die Koalition hatte sich 1995 verständigt, den Topf aus dem Verkauf städtischen Vermögens zu füllen. Bis heute, Mitte August 1996, ist kein Stück Bremen verkauft, dessen Erlös den Topf hätte füllen können.

Der Senat hatte zwar im März beschlossen, die Bremer Entsorgungsbetriebe (BEB) zum Teil zu privatisieren sowie die Bremische und die Gewoba zur Hälfte zu verkaufen, aber gesagt ist nicht getan: die SPD hat Probleme mit dem Verkauf der Wohnungsbaugesellschaften und fürchtet – wie die Grünen auch – ein sozialpolitisches Desaster und beim Verkauf der Bremischen auch noch ein Verlustgeschäft. Ein bisher unter Verschluß gehaltenes Gutachten soll den Wert der Gesellschaft bei einem Verkauf von 48,9 Prozent auf deutlich unter 100 Millionen Mark beziffern. Der BEB-Verkauf hat neben dem politischen Problem (Verlust kommunaler Steuerung der Abfallpolitik) komplizierte kartellrechtliche und gebührenrechtliche Aspekte, deren Lösung dauert.

Weil auch der Senat weiß, daß 1996 nicht mehr viel zu verkaufen ist, dachte er sich eine Hilfsfinanzierung aus. Er nimmt für mindestens 100 Millionen Mark Kredite auf. Da er das wegen der Sanierungsmilliarden aus Bonn für einen so profanen Zweck wie Stadtreparatur nicht gut tun kann, müssen BEB und HIBEG, die Gesellschaft des Senats zur Abwicklung komplizierter Geschäfte, ihm das Geld vorschießen. Leider kostet das auch Geld, nämlich Quasi – Zinsen. Diese – vielleicht 3 Millionen für 1996 und das Doppelte 1997 – zahlt wieder der Stadtreparaturfonds. Also: er schrumpft auch in Zukunft.

Zweites Fazit: Der Senat pumpt sich Geld unter dem Deckmantel Stadtreparatur und schließt damit Haushaltslöcher. Unter dem Gesichtspunkt des Sanierungsabkommens mit Bund und Ländern ist das ein mehr als fragwürdiges trickreiches Umgehungsmanöver.

Stadtreparatur, heimlicher Geschäftsführer privater Stadtentwicklung

Neben diesem – bei genauem Hinsehen sichtbaren – Teil des Fiaskos Stadtreparatur gibt es auch einen bisher nicht sichtbaren. Aus der Stadtreparatur wurde ein heimliches Instrument bremischer Stadtentwicklungspla-nung. Drei Beispiele:

Die Finanzierung des neuen Polizeipräsidiums in der Vahr aus dem Stadtreparatur-fonds schafft Platz am Wall für ein neues Einkaufs- und Bürozentrum der in Regierungskreisen geschätzten und geförderten Firma Zechbau (u.a. Weserstadion, TÜV-Gelände). Das ist innenstädtische Planung aus dem Haus des Wirtschaftssenators, das einzelne Objekte oder Grundstücke an private Investoren verscherbelt, die dann nach eigenem Geschmack oder Geldbeutel für einen vermeintlichen Markt oder ihre Abschreibungsanleger bauen dürfen. Die Stadt zieht sich weitgehend aus der Innenstadtgestaltung zurück, zahlt aber als Vorleistung die Infrastruktur (wie schon am Bahnhofsvorplatz, an der Schlachte, am Domshof samt Katharinenpassage). Ob da häßliche Baukörper und teure Granitparkplätze das Ergebnis sind, erscheint als höhere, zumindest private Gewalt.

Der Aufschub für und zum Teil auch Verzicht auf die notwendigen Gebäudereparaturen in den Stadtteilen, begünstigt die Konkurrenz zwischen den zu reparierenden Einrichtungen. Diejenigen, die eine starke politische oder ökonomische Stadtteillobby haben. erhalten Geld. So wird auch äußerlich – zumal wenn andernorts Schulen und Kindergärten mit Reparaturgeldern neu gebaut werden (wie die Gesamtschule West und verschiedene Kindergärten) – die Stadt Bremen deutlicher als bisher in verfallende und gepuschte Quartiere auseinanderdriften. An der einen Stelle werden Schulen, KTHs und Freizeitheime zu vielfältig nutzbaren Stadtteilzentren, an der anderen sind sie auch äußerlich Teil des Sozialabbaus.

Die Privatisierung der Wohnungsbaugesellschaften, ohne die nach dem Willen der Koalition der Stadtreparaturfonds nicht zu bezahlen ist, verstärkt die soziale Differenzierung. Private Eigner werden verstärkt Wohnungen verkaufen und geringes Interesse haben, Sozialwohnungen weiterhin für sozial Schwache zur Verfügung zu halten. Der bessere Teil des Bestandes geht auf den Markt, der Rest kommt weiter runter. Mit dem Verkauf der Bremischen entfällt zudem der kommunale Sanierungsträger (Beispiele Ostertor, Vegesack, Gröpelingen) zumindest in der bisherigen Form. Entweder wird Sanierung künftig sehr viel mehr kosten und dennoch weitgehend der Stadtplanung entzogen oder sie unterbleibt wegen Geldmangels ganz. Das verstärkt die Tendenz zum sozialen Zerfall.

Drittes Fazit: Die Zweckentfremdung des Stadtreparaturfonds begünstigt das vorherrschende Prinzip der punktuellen Stadtentwicklung, das weite Teile Bremens den Gesetzen des Baumarktes überläßt. Mit dem Abdanken konzeptioneller Stadtplanung verstärkt sich auch der soziale Reparaturbedarf. Der Senat hofft wahrscheinlich, daß, wie heute für Osterholz-Tenever, diese Folgen erst ihre NachfolgerInnen zu tragen haben.

Es gibt auch andere Möglichkeiten

Alternativen zur jetzigen Praxis der guten Idee „Stadtreparatur“ gab und gibt es. 1. Bremische wie Gewoba haben vorgeschlagen, selbst die Reparatur mitzufinanzieren. Das könnte Bremen zwar einige Grundstücke oder Gebäude kosten, vielleicht auch den Verzicht auf sechs Millionen jährliche Einnahme aus den „Gewinnen“ der Bremischen, böte aber zugleich die Chance professionellen Baumanagements. Das käme letztlich billiger. 2. Die Politiker müßten sich endlich aufraffen, eine verbindliche Prioritätenliste für die Reparatur, aber auch nur für Reparatur aufzustellen und zugleich auf Flickschusterei verzichten. Was bringt es, wenn 1996 zwar viele Heizungen erneuert werden, es aber nach wie vor durch Fenster, Türen und Dächer zieht? Ökologische und ökonomische Kriterien müssen eine Grundlage dieser Prioritätenentscheidung sein. 3. Das Reparaturprogramm könnte mit einem Beschäftigungsprogramm verbunden werden, über das vor allem arbeitslose Jugendliche Arbeit finden könnten. 4. Wo immer es geht, sollten die Stadtreparaturen in die Stadtplanung für die Stadtteile und die City eingearbeitet werden. Dafür allerdings müßte überhaupt erst eine kompetente Planung her, die nicht nur Millionen in granitene Straßen und Klangbögen verpulvert, um sie hinterher als Parkplätze zu nutzen. Es ist Zeit, daß Bremen eine nicht von Ressorteitelkeiten abhängige kompetente und international angesehene Stadtplanungs-Chefin bekommt.

Aber das ist ein anderes Kapitel bremischer Politik.

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