: Ajatollah Chamenei gab den Befehl
Der ehemalige iranische Staatspräsident Bani Sadr macht Irans Führung verantwortlich für den Mord an vier iranischen Oppositionspolitikern im Berliner Restaurant „Mykonos“ ■ Aus Berlin Dieter Rulff
Daß er Namen nennt, war selbst für den Verteidiger im „Mykonos“-Verfahren, Henning Spangenberg, ein Indiz dafür, „daß etwas dran sein muß“ an dem, was Abol Hassan Bani Sadr dem Gericht berichtete. Und der ehemalige Staatspräsident des Iran konnte gestern dem Kammergericht viele Namen nennen, neue Namen. Namen von angeblich Beteiligten an dem Mord an vier iranisch-kurdischen Oppositionspolitikern im Berliner Lokal „Mykonos“ am 17. September 1992; Namen der Rädelsführer und Namen der Auftraggeber – darunter die des iranischen Staatspräsidenten Rafsandschani und des religiösen Führers des Landes, Ajatollah Chamenei. Und er nannte den Namen Kazem Darabi, jenes Iraners, der vor dem Berliner Kammergericht angeklagt ist, zusammen mit vier Palästinensern den Mord ausgeführt zu haben. Bani Sadr bestätigte damit den Vorwurf der Anklage und Erkenntnisse des Bundesamtes für Verfassungsschutz, wonach Darabi ein Agent des iranischen Geheimdienstes und einer der Drahtzieher des Attentates ist.
Aus drei verschiedenen Quellen im Iran will Bani Sadr erfahren haben, daß im September 1992 eine Gruppe nach Berlin entsandt wurde, um das Attentat auszuführen. Zu ihr gehörte jemand namens Sharif Banihashemi, der über Polen nach Berlin eingereist sein soll und nach dem Attentat die Stadt wieder mit einem libanesischen Paß via Beirut Richtung Teheran verließ. Der habe „zusammen mit Kazem Darabi den Plan zur Ausführung gebracht“. Bei Sharif Banihashemi kann es sich um jenen bislang unbekannten „Sharif“ handeln, der laut Anklageschrift bei dem Attentat die Maschinenpistole bediente und seitdem flüchtig ist. An dem Anschlag soll auch ein Brigadegeneral der Revolutionswächter (Pasdaran) mitgewirkt haben, ein Mann namens Ghafour Darjazi. Er soll Informationen für das Attentat beschafft sowie Vorkehrungen für die Rückkehr der Attentäter getroffen haben. Die oberste Zuständigkeit für die Aktion soll bei dem geschäftsführenden Direktor einer Firma Samsan in Teheran gelegen haben, einem Tarnunternehmen des iranischen Geheimdienstes. Dieser Mann habe „im Auftrag“ des Geheimdienstministers Ali Fallahian gehandelt. Gegen Fallahian liegt wegen der Beteiligung am „Mykonos“-Attentat seit März ein Haftbefehl des Bundesgerichtshofs vor.
Folgt man den Ausführungen Bani Sadrs, so endet die politische Verantwortung für den Anschlag jedoch nicht beim Geheimdienstminister. Nach seinen Erkenntnissen werden die Mordanschläge des Iran in einem klar umrissenen institutionellen Rahmen geplant und entschieden. Die Befehle selbt erteilt „kein anderer als der Führer selbst, Herr Chamenei“. Laut Bani Sadr werden diese Entscheidungen von einem „Rat für Sonderoperationen“ vorbereitet, der unter direkter Aufsicht des Ajatollah Chamenei steht. Dem Rat gehören der Kommandeur der Pasdaran, Mohsel Razai, der Verantwortliche für die Hisbollah und die iranische Propaganda, Mohamad Iraki, der erste Minister für Geheimangelegenheiten, Rhejavi, sowie der Koordinator von Chameneis Büro, Hadjachi, und Geheimdienstminister Fallahian an.
Nachdem der Rat das Todesurteil ausgesprochen hat, wird dieser Beschluß einem gesondert tagenden Komitee mitgeteilt, daß einen Tatplan entwirft. Davon erhalten Chamenei und Staatspräsident Rafsandschani je eine Ausfertigung. „Nachdem diese beiden den Plan verabschiedet haben, ist der Plan zur Ausführung freigegeben.“ Zu diesem Zweck gelangt er dann, so Bani Sadr, wiederum an Fallahian. Nach Einschätzung des ehemaligen Staatspräsidenten, der 1981 aus dem Iran flüchten mußte, ist es nicht möglich, daß ein Mordbefehl gegen den Willen seines Nachfolgers umgesetzt wird. Denn an der Durchführung seien bis zu 16 Institutionen beteiligt, die diesem zum Teil unterstehen.
Die ausführlichen Erklärungen Bani Sadrs beeindruckten gestern nicht nur die Verteidigung. Auch der Vertreter der Generalbundesanwaltschaft, Oberstaatsanwalt Bruno Jost, der Bani Sadr bereits Anfang Juni vernommen hatte, zeigte sich über die Fülle der neuen Details erstaunt. Für die Einleitung eines Ermittlungsverfahren gegen Rafsandschani sah er allerdings noch nicht die erforderlichen und zureichenden Anhaltspunkte gegeben. Die „personenenbezogenen Aspekte“ seien nicht so dicht wie bei Fallahian, gegen den er den Haftbefehl erwirkt hat. Jost und die Verteidigung wollen in den auch heute andauernden Vernehmungen prüfen, woher Bani Sadr sein detailiertes Wissen hat. Der ehemalige Staatschef mochte seine Quellen bisher nicht offenlegen.
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