: Was nicht ist, muß bald werden
■ Berlin soll Deutschlands "Solarhauptstadt" werden. Zwar sind die "Solaranlagenverordnung" und eine "kostendeckende Vergütung" schon längst beschlossene Sache, allein an der Umsetzung hapert es seit Jahren. P
Die „Hauptstadtdebatte“ ist eine heikle, für die Berliner PolitikerInnen mit teilweise leidvollen Erfahrungen gespickte Materie. Enorm die Prophezeiungen, ausgesprochen kleinteilig dagegen die tatsächlichen Ergebnisse. Schuld daran sind natürlich die Bonner Bürokraten.
Mit den Ambitionen der Noch- nicht-so-ganz-Metropole auf den Titel einer „Solarhauptstadt“ verhält es sich ähnlich. Den Begriff warf die damalige, grüne Umweltsenatorin Michaele Schreyer im August 1990 in die Debatte, als Aufforderung, angesichts der vielen anstehenden Bauvorhaben die Chance zur energiepolitischen Trendwende zu ergreifen.
Auch der jetzige Amtsinhaber Peter Strieder (SPD) zählt die vor sechs Jahren geprägte Formel zu seinen Lieblingsvokabeln. Derart energisch und ausdauernd macht er Gebrauch davon, wahlweise auch von dem noch flotteren Anglizismus „Solar City“, daß manch einer ihm fälschlicherweise das Urheberrecht zuspricht.
Nun wird ein solches Prädikat ärgerlicherweise nicht per Bundestagsbeschluß, schon gar nicht per Senatsorder vergeben. Streiten ließe sich auch über die für den Erwerb geltenden Kriterien. In Sachen Theorie – eine Parallele zum Streit um die politische Hauptstadt – stünden Berlins Chancen nicht einmal schlecht: An der Spree betreibt man, zum Beispiel am Hahn- Meitner-Institut, Solarforschung auf anerkannt hohem Niveau. Ausgesprochen vielversprechend erscheint auch das von der Umweltverwaltung schon unter Strieders Vorgänger Volker Hassemer (CDU) gestartete Projekt Internationales SolarCenter (ISC). Schon im nächsten Jahr soll der Bau einer – selbstredend nach ökologischen Kriterien gestalteten – Heimstatt für alle erdenklichen Aktivitäten rund um die erneuerbaren Energiequellen beginnen. Zwei Jahre später könnte das ISC in Betrieb gehen (siehe Interview Seite 23). Allerdings bestehen selbst bei den Initiatoren Zweifel, ob sich diese Zeitschiene einhalten läßt. Bernhard Weyris von der Deutschen Gesellschaft für Sonnenenergie (DGS), die Mitglied im ISC-Trägerverein ist, hält allein wegen der noch bestehenden, konzeptionellen Unklarheiten den Einzug in drei Jahren „auf keinen Fall“ für realistisch.
Auch praktische Fortschritte auf dem Weg zur Solarhauptstadt lassen auf sich warten. Zwar wurden in den sechs Jahren seit Michaele Schreyers Proklamation in der Tat Hunderttausende Quadratmeter an Wohn- und Büroflächen eingeweiht. Was allerdings die Summe der in diesem Zeitraum installierten Leistung solarer Energie angeht, läuft die alte Hauptstadt Bonn der neuen Kapitale locker den Rang ab – und zwar nicht nur relativ zu deren ungleich höheren Einwohnerzahl, sondern absolut. Mit süffisantem Unterton konstatiert der umweltpolitische Sprecher der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Abgeordnetenhaus, Hartwig Berger: „Wenn ich nicht Berliner wäre, würde ich die ,Solar City‘ nach Bonn verlegen.“
Die Ursachen für die niederschmetternde Bilanz finden sich indes ausnahmsweise nicht in rheinischen Ränkeschmieden. Eher schon kann die noch immer recht ausgeprägte Subventionsmentalität als Begründung herhalten. Berlin leistet sich nämlich trotz knapper Kassen die bundesweit üppigste Solar-Förderung: bis zu 60 Prozent der Installationskosten für thermische Anlagen (zur Warmwassergewinnung) und 70 Prozent für Photovoltaik (zur Stromerzeugung). Da aber der verfügbare Etat ausgesprochen begrenzt ist, reduziert sich die Zahl der realisierten Projekte entsprechend. Resultat: Derzeit liegt beispielsweise die Förderung thermischer Anlagen im Zuge von Altbausanierungen bei Null, denn der für 1996 angesetzte Betrag von drei Millionen Mark – bis zum Frühjahr durch Haushaltssperre eingefroren – war nach Aufhebung der Blockade innerhalb von wenigen Wochen verteilt. Seit Mai nimmt die für die Vergabe zuständige Investitionsbank Berlin (IBB) erst gar keine neuen Anträge mehr an.
Leidtragende des Subventions- Wirrwarrs sind neben den Antragstellern die in der Branche tätigen Firmen – durchweg Kleinbetriebe, die schon bei kurzer Umsatzflaute vor der Existenzfrage stehen. Die Auftragslage hängt aber unmittelbar von der Verfügbarkeit öffentlicher Förderung ab, denn ohne diese rechnen sich Solaranlagen nicht.
Hieraus ergeben sich denn auch die beiden wichtigsten Schritte, die auf dem Weg zur tatsächlichen Solarhauptstadt zu tun blieben: Wäre der örtliche Energiemonopolist Bewag verpflichtet, überschüssigen Strom aus Photovoltaikanlagen zum Entstehungspreis von etwa 2 Mark anstatt der jetzt geltenden 17 Pfennig pro kWh abzunehmen, ließe sich der Markt für Sonnenstrom endlich öffnen. Damit herrschte dann Gleichstand zwischen Berlin und anderen Kommunen, in denen diese „kostendeckende Einspeisevergütung“ bereits praktiziert wird.
Eine echte Führungsrolle fiele der Spree-Metropole hingegen zu, wenn sie die nicht nur von Strieder vehement geforderte „Solaranlagenverordnung“ erließe. Dann nämlich müßten künftig alle Neubauten ihren Warmwasserbedarf zu mindestens 60 Prozent mit Solartechnik decken. Beides zusammen, Vergütung und Verordnung, davon sind ihre Verfechter überzeugt, brächten einen regelrechten Solar-Boom – zumindest gemessen am bislang mehr als bescheidenen Niveau.
Beides ist auch – eine weitere Parallele zur Hauptstadtdebatte – längst beschlossene Sache. Im November 1994 erklärte das Abgeordnetenhaus seinen politischen Willen, die kostendeckende Einspeisevergütung in Berlin einzuführen. Mehr war freilich nicht möglich. Andere Kommunen, in denen die Energieversorgung noch von Stadtwerken übernommen wird, haben es da leichter; die Bewag aber verfügt – obwohl zur Mehrheit im Landesbesitz – durch das im Aktiengesetz verbriefte Recht, unternehmerisch unabhängig zu agieren, wovon sie denn auch regen Gebrauch macht.
Andererseits, meint der Solarexperte der Berliner SPD-Fraktion, Holger Rogall, „will die Bewag natürlich auch immer mal wieder etwas vom Senat“. Das beginnt bei der Genehmigung für neue Leitungstrassen und endet mit der von der Landesregierung ausgeübten Aufsicht über die Stromtarife. Wer also wirklich wollte, meint nicht nur der Sozialdemokrat, könnte durchaus einigen Druck ausüben.
Darüber entscheidet freilich nicht der Umweltsenator allein. Im März 1995 hatte sich der damalige Wirtschaftssenator Norbert Meisner (SPD) schon beinahe mit der Bewag über eine Einspeisevergütung geeinigt. Freilich auf Kosten des Landes, denn der für den Stromversorger entstehende Mehraufwand sollte mit der an das Land zu zahlenden Konzessionsabgabe verrechnet werden. „Er hat sich“, meint Arno Paulus vom „Verein zur Förderung der Solarenergie“, „über den Tisch ziehen lassen.“
Das fand auch die Finanzverwaltung, und das schon unterzeichnete Abkommen verschwand in der Versenkung. „Wir haben das nicht weiter verfolgt“, so das zurückhaltende Fazit von SPD-Fraktionär Holger Rogall. Statt dessen wurde ein neuer Vorschlag erarbeitet, nämlich die Umlage der Kosten auf den Haushalts-Stromtarif. Auf den ersten Blick eine unpopuläre Maßnahme, doch die hieraus tatsächlich resultierenden Preiserhöhungen dürften sich bei weniger als einer Mark monatlich bewegen. „Da kann mir keiner erzählen“, so Rogall, „das wäre sozial unverträglich.“
Wirtschaftssenator Elmar Pieroth (CDU) sieht trotzdem den „Standort Berlin“ bedroht und mauert – was Solar-Befürworter wie Hartwig Berger um so mehr in Rage bringt, da die mit Sonderverträgen ausgestatteten industriellen Großverbraucher überhaupt nicht tangiert wären. „Die Argumentation des Senats“, poltert der Grüne, „trieft nur so vor Dummheit.“
Die Bewag schließt sich Pieroths Argumenten dagegen erwartungsgemäß an – böse Zungen behaupten sogar, in Wirklichkeit sei es umgekehrt. „Extrem unwirtschaftlich“, lautet das Urteil des Unternehmens zur Photovoltaik.
Umweltsenator Strieder macht trotzdem in Optimismus. Die Chancen, sich gegen den widerborstigen großen Koalitionspartner durchzusetzen, schätzt sein Medienreferent Manfred Rontzheimer als „gut“ ein – „wenn wir die Bewag mit ins Boot bekommen“. Und dafür wiederum kündigt der Senator selbst noch für diesen Monat „eine überraschende Vereinbarung“ an. Zu den Überraschten gehörte dann wohl auch Bewag- Sprecher Reinhard Heitzmann, der bislang noch verbreitet, sein Unternehmen könne sich eine Zustimmung zur kostendeckenden Vergütung „im Moment nicht vorstellen“.
Keine Überraschungen darf es für die Berliner Sozis jedenfalls in Sachen „Solaranlagenverordnung“ geben. Ihren festen Willen, ein solches Regelwerk zu erlassen, erklärten sowohl SPD als auch CDU im letzten Wahlkampf. Im Herbst 1995 folgte dazu der Abgeordnetenhausbeschluß, außerdem nahmen die Regierungsparteien die Verordnung in die Koalitionsvereinbarung auf. Allerdings fanden Wohnungsbauunternehmen, Industrie- und Handelskammer und andere Interessierte mit ihren Protesten Gehör, und seitdem wird verhandelt. Aber nicht mehr lange, verspricht Holger Rogall. Wenn die CDU-Fraktion die Verordnung nicht bis Anfang September abgesegnet hat, „wird die SPD das vor den Koalitionsausschuß bringen“. Strieders Sprecher Rontzheimer kündigt schon jetzt Standhaftigkeit an: „Das lassen wir uns von denen nicht kaputtmachen.“ Jochen Siemer
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