Glücksrad live in Bremen

■ Siegerin fährt mit Bundesmarine nach Zypern - Intendant Pierwoß spielt lieber Lotto

Scheinwerfer tauchen den Marktplatz in gleißendes Licht. Kabelstränge schlängeln sich über das Kopfsteinpflaster. Am Rande tuckert ein Stromaggregat, versorgt Übertragungswagen und Satellitenanlage. Was war da los Dienstag abend in der Innenstadt?

Ein Blick zum Monitor klärt auf. Pünktlich um 19 Uhr flimmert Peter Bond über die Mattscheibe. „Tam–TaTaTa–Ta–Taam“, die Erkennungsmelodie. Eingefleischte Fans wissen Bescheid: Die Sat-1-Glücksrad-Gala ist da – live auf dem Bremer Marktplatz.

Star des Happenings ist Hans-Eckart Eckhardt. Der Mittvierziger mit dem schütteren Haar „macht die Außenmod“, soll heißen die Gesprächsleitung vor Ort. Um ihn herum eine Menschentraube. 40 bis 50 Bremer wollen ins Fernsehen, wollen mitspielen, gewinnen.

Die Glückliche heißt Sonja G. Eckhardt strahlt, die Kandidatin „ist so spontan. Toll!“ Aber: „Das sind wir Bremer doch alle“, klärt sie den Sat-1-Star auf. Eckhardt glaubt's und strahlt weiter – mit bröckelnder Schminke.

Zurück zum Spiel: Fünf Konsonanten und einen Vokal darf Sonja sich aussuchen. Glücksrad-Insider kennen den Trick. Größte Chancen hat man mit ERNSTL. Danach hat die Kandidatin 15 Sekunden Zeit das verdeckte Worträtsel im Berliner Sat-1-Studio zu lösen per Monitor. Diesmal geht's um eine Gruppe, Institution.

Die Spannung steigt. Selbst die Burschen am Domeingang hören mit dem Klinkenputzen auf. Kann Sonja die 14tägige Reise nach Zypern gewinnen? Nicht schlecht, oder? Dann fängt die Kandidatin an zu zappeln, kriegt kaum den Mund auf. „Bundesmarine“, stammelt sie. „Hurra“, schreit Eckhardt. Mit der Bundesmarine nach Zypern. Wer hätte das gedacht? Die Stimmung auf dem Marktplatz kocht. Sonja führt „spontan“ einen Freudentanz auf. Und der Herr Moderator? Eckardt verteilt generös Autogrammkarten. Handsigniert, versteht sich.

Und dann geht alles ganz schnell. Der Sat-1-Strahlemann muß weiter. Zum nächsten „Take“ im Spielcasino. Vorher muß er nochmal in die Maske – die Schminke bröckelt und reißt jetzt. Irgendwie verteilt sich das Zeugs auf dem Sakko, sieht aus wie braune Schuppen. Eckhardts Gesicht erinnert an einen mittelschweren Sonnenbrand. So kann ein Star nicht vor die Kamera.

Trotzdem gibt er noch ein schnelles Interview. „Wir wollen mit unserem Millionenspiel einfache Menschen glücklich machen. Dazu gehen wir zu ihrer Arbeitsstelle. Wir hatten schon einen Taxifahrer, eine Wurstverkäuferin und einen Kneipier.“ Die werden vom Job weg vor die Kamera geholt. „Die Leute freut's“, verrät Eckhardt. Dann muß er weiter – zum Spielcasino. Und in die Maske.

Derweil versammeln sich die ganz hartnäckigen Fans vor den Fernsehern auf dem Marktplatz. Ein paar schauen etwas mitgenommen aus der Wäsche. Inge Specht: „Ich hätt' auch gern mitgespielt.“ Dann gesteht die ältere Dame aber, daß sie wahrscheinlich viel zu aufgeregt gewesen wäre. Und überhaupt: „Wer ist schon dieser Eckhardt? Bei Peter Bond möchte ich mitspielen. Das wär Klasse!“ Ansonsten findet sie es toll, daß das Glücksrad jetzt auf die Straße geht. „Ist doch was anderes als zu Hause vor dem Fernseher.“ Ihre Freundin Gisela Schulz gibt ihr recht. Ob sie gerne auch mal Glücksfee Maren Gilzer, die per Glücksrad bundesweite Berühmtheit erlangte, kennenlernen würde? „Nein, bloß nicht. Die dreht doch nur die Buchstaben um.“

Moderator Eckhardt hat sich inzwischen von seiner Maskenbildnerin verabschiedet und macht sich auf ins Spielcasino. „Einmal durch die Drehtür und ab in den ersten Stock“, erzählt er den Zuschauern live aus Bremen. Damit es schneller geht, „macht er längere Schritte“. Und steht plötzlich vor der Rezeptionistin Imke J.: „Hallo, ich bin der Hans vom Glücksrad.“ Kameramänner fuchteln mit Objektiven. Ein Beleuchter liegt fast auf dem Roulettetisch. Macht nichts. Hans will schließlich keinen Roulette-Schnupperkurs, sondern einen 10.000-Mark-Einkaufsgutschein eines Möbelladens unter die Menschen bringen. „Dann muß ich jetzt cool sein?“, fragt Imke. Hans nickt und findet erstmal ihren Drehstuhl toll. „Praktisch, wenn man Frauen so drehen kann, wie man will“, kalauert der Chauvi.

Aber dann – die Frage: „Ein Titel!“ Auch Imke wählt ERNSTL und auch Imke hat 15 Sekunden Zeit. Und auch Imke hat Glück. „Der eiskalte Engel“, lautet das Lösungswort. Maren Gilzer dreht strahlend im Studio die Leuchtbuchstaben um. Hans Eckhardt drückt inzwischen Imke einen dicken Schminke-Schmatzer auf die Backe. Die nimmt's gelassen. Eben wie ein eiskalter Engel.

Danach geht es für Eckhardt noch weiter ins Holliday Inn.Mit dem Glücksrad und seiDnen Autogrammkarten. Auf dem Marktplatz löst sich das bunte Treiben derweil zusehends auf. „Das ist auch besser so“, meint Theater-Intendant Klaus Pieroß, der über den Marktplatz schreitet. „Wenn ich das Glücksrad im Fernsehen sehe, zappe ich sofort weiter. Er hat ein besseres Gewinnmotto: „Ich spiele Lotto.“

Jens Tittmann