piwik no script img

Miranda im Blaubeerwald

■ Serie: Staub abschütteln. Tips für Stadtflüchtige. Heute: Mit dem Fahrrad ins polnische Lagow. Desorientierung fördert das Gespräch

Daß die Leute von der Autovermietung entsetzt das Gesicht verziehen und nervös mit den Händen fuchteln, wenn man eine ihrer Karren für die Reise nach Polen mieten will, ist bekannt. Daß aber selbst Freunde bei Nennung des Reiseziels ängstlich abwehren, wenn man sich ihr Fahrrad ausleihen möchte, war uns neu.

Auch die Deutsche Bundesbahn spinnt: Man könne in Polen keine Räder in der Bahn mitnehmen, behauptete ein DER-Reisebüro in Moabit, und so verschacherte uns eine muffige Dame am Hauptbahnhof überteuerte Billets nach Frankfurt (Oder), das Wissen um diverse Bahn-&-Rad-&-Gruppen-Schnäppchen behielt sie, wie sich später herausstellte, heimtückisch für sich.

Wie zur Krönung stellten wir dann fest, daß einem in Frankfurt alle „Anschlußzüge“ planmäßig vor der Nase wegfahren. Also passierten wir mit dem Rad die Grenze an der ehemaligen „Brücke der Freundschaft“ problemlos und fix mit dem Personalausweis (man braucht entgegen vieler Reiseführerbehauptungen keinen Paß!) und tauschten in Slubice D-Mark gegen neue Zloty mit erstaunlich wenig Nullen.

Kaum unterwegs, wurde uns klar, warum sich der kleine Grenzverkehr so schwierig gestaltet: Der Konkurrenzurlaubsstandort Brandenburg hat im Vergleich einfach keine Chance, und nur mit Hinterlist kann man die Leute von der Ausreise abhalten. In Westpolen wird es nämlich schlagartig interessanter, schöner und freundlicher!

Insbesondere die Reise von Frankfurt über Nowe Biskupice, Rzepin, Lubin, Debrznica und Torzym nach Swiebodcse, mit Übernachtung in Lagow am See ist der Hit! Man fährt kommod über sanfte Hügel, durch Wälder voller Beeren und Pilze, passiert die herrlichsten Badeseen mit Eis-und Bierbuden, seltene Schmetterlinge und Käfer kreuzen die zumeist asphaltierten, wenig befahrenen Wege.

Doch der eigentliche Kontrast zu den öden, menschenleeren Käffern in Brandenburg und MV sind die polnischen Dörfer: Ein jedes hat einen Teich in der Mitte, und drumherum ist Geselligkeit. Es wird geangelt, geplaudert, gewerkelt, kurzbeinige Hunde und selbstbewußte Gänse spazieren umher. Hier und da lädt ein romantischer Minikiosk mit Tisch unterm Apfelbaum zum Biertrinken ein, und sogar zwischen den Dörfern leisten einem gelegentlich andere Radfahrer Gesellschaft. Daniel und Bogdan, zwei jugendliche Sympathieträger aus Busce, boten uns sogar Vodka mit Miranda an, und dafür, daß wir nur zehn polnische Worte können, klappte die Konversation über etliche Kilometer ganz passabel.

Offenbar war auch Jörg Lüderitz, dem Verfasser unseres Reiseführers „Radtouren östlich der Oder“ ähnliches widerfahren, denn im Naturschutzgebiet am Jezioro Malcz (Malzsee) wurde die Beschreibung äußerst konfus und brach dann ganz ab.

Das machte aber nichts, denn allenthalben bot unsere Orientierungslosigkeit willkommenen Anlaß, mit Passanten und Ortsansässigen ins Gespräch zu kommen. In Lagow schließlich, der „früher kleinsten Stadt Preußens“ mit sehenswerter Disco, landwirtschaftlichem Treiben, zwei Seen, einer Burg, Spätkauf, zahlreichen Eisdielen und Einkehrmöglichkeiten, fanden wir im zentralen Ferienobjekt gemütliche Zimmer (für umgerechnet 15 Mark pro Person) mit Seeblick, Radio und rosa Bettwäsche. Lagow ist für sein alljährliches Filmfestival im Juni bekannt: Profi-Festivalbesucher Kornel Miglus vom Polnischen Kulturzentrum Berlin hält es gar für das beste, weltweit. Auch in den Wochen nach dieser kulturellen Topattraktion ist Lagow ein Ort, wo man bleiben und lange Romane lesen möchte. Wir mußten jedoch am nächsten Tag weiter und fuhren über Lubrza (tolle Badestelle!) nach Swiedbodsce, einer Provinzstadt mit verwinkelten Strassen und Häusern, hinter denen man allerlei heimliche Romanzen und komplizierte Intrigen vermutet. Dort kauften wir in einem Haushaltswarengeschäft noch Nagelbürsten in Gestalt fliegender Schwäne. Abschließend ist zu sagen, daß es unserer Erfahrung nach nur eine Gefahrenquelle für Bahn-Rad-Reisende in Polen gibt: Die Türen der Nahverkehrszüge schließen nicht so gut, und man muß aufpassen, daß die Räder unterwegs nicht aus dem Waggon rollen. Dorothee Wenner

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen