Auch Spaniens neuer Chef hält dicht

■ Ein Gesetzentwurf des Kabinetts soll die Aufklärung der GAL-Morde an ETA-Sympathisanten verhindern

Madrid (taz) – Schonungslose Aufklärung des schmutzigen Krieges der Antiterroristischen Befreiungsgruppen (GAL) hatte José Maria Aznar seinen Wählern versprochen, als er noch die Oppositionsbank drückte. Jetzt, an der Macht, behindert der konservative Regierungschef die Ermittlungen, wo es nur geht. Vor einem Monat, mitten in der parlamentarischen Sommerpause, verweigerte seine Regierung den Ermittlungsrichtern den Einblick in die Akten des militärischen Geheimdienstes Cesid. Die Dokumente sollten wichtige Beweise für den Verdacht erbringen, daß die terroristischen Aktionen der GAL, denen im französischen Baskenland Mitte der achtziger Jahre 22 mutmaßliche Sympathisanten der baskischen ETA zum Opfer fielen, direkt von der sozialistischen Regierung unter Felipe González gelenkt wurden. Kaum aus dem Urlaub zurück, verabschiedete das Kabinett den Entwurf eines neuen Gesetzes über Staatsgeheimnisse, mit dem die Papiere bis Mitte der dreißiger Jahre des nächsten Jahrhunderts unter Verschluß gehalten werden sollen.

Das zukünftige Gesetz sieht drei Geheimhaltungsstufen vor. Papiere, die als „streng geheim“ eingestuft werden, sollen 50, die „geheimen“ und „vertraulichen“ 25 Jahre unter Verschluß bleiben. Das Kabinett oder der zuständige Minister kann all den Papieren seinen Stempel aufdrücken, deren Veröffentlichung „eine Gefahr für die Souveränität, die Unabhängigkeit und die territoriale Einheit Spaniens“ darstellen würde.

Was warum geheim bleibt, ist natürlich geheim

Desweiteren fallen „alle wichtigen militärischen Fragen“, die „fundamentalen Interessen Spaniens im Ausland“, „wichtige wirtschaftliche, industrielle, technologische und wissenschaftliche Interessen des Staates“, „alle grundlegenden Aspekte der Organisierung und Funktionsweise der Geheimdienste“ und „alle anderen grundlegenden Aktivitäten, die in Zusammenhang mit der Staatsicherheit stehen und in den vorherigen Abschnitten nicht erwähnt sind“, unter die Geheimhaltung. Der letzte Punkt scheint wie für die GAL zurechtgeschrieben zu sein.

Künftig wird nicht einmal bekanntgegeben, welche Vorgänge für Jahrzehnte im Giftschrank verschwinden. Denn auch die Entscheidungen, was geheim ist und warum, ist geheim. Wer trotzdem im Besitz einer geheimen Staatsunterlage ist, und sei es nur als Kopie, muß mit einer Geldstrafe von bis zu 1,2 Millionen Mark rechnen, auch wenn er sie nicht veröffentlicht. Das Bußgeld wird von der Regierung verhängt, Anzeige und Strafprozeß folgen. Die Drohung richtet sich in erster Linie gegen Journalisten, die mit ihren Recherchen und Veröffentlichungen von Cesid-Akten für Skandale wie den der GAL sorgten.

Die Baskische Nationalistische Partei (PNV) und die kommunistische Vereinigte Linke (IU) bewerten soviel Geheimniskrämerei als „verdeckte Amnestie für die Staatsterroristen“. Sie wollen Regierungschef José Maria Aznar dazu zwingen, vor dem Parlament zu erläutern, warum er die Akteneinsicht verweigerte.

Gleichzeitig kündigten die beiden Vertreter der Nationalisten und Kommunisten im Geheimdienstausschuß des Parlaments an, vor Ermittlungsrichter Gómez Liaño über die fraglichen Cesid-Papiere auszusagen. Der Geheimdienstausschuß hatte Anfang des Jahres Gelegenheit zur Akteneinsicht. Der Gang zum Richter könnte die beiden teuer zu stehen kommen, denn wer bei seiner Amtsausübung erworbenes geheimes Wissen preisgibt, kann mit bis zu 18 Monaten Haft bestraft werden. So sieht es das alte Gesetz vor. Es stammt aus der Zeit der Franco- Diktatur. Reiner Wandler