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„Wir sind auch betriebsblind“

■ Interview mit Ernst Schadow, Vorstand für Umweltschutz beim größten deutschen Chemiekonzern, der Hoechst AG: Sicherheit durch Automatisierung kostet Arbeitsplätze

taz: In den vergangenen zwei Jahren sind die Ausgaben für den Umweltschutz bei Hoechst zurückgegangen und die Zahl der Mitarbeiter in dem Bereich hat abgenommen. Was sagt uns das über den Umweltschutz bei Hoechst?

Ernst Schadow: Gar nichts. Die Zahlen, die wir seit Jahren veröffentlichen, beziehen sich auf den additiven Umweltschutz, also Ausgaben für Verbrennungsanlagen, für die biologische Abwasserreinigung. Diese Ausgaben gehen naturgemäß zurück, weil wir seit etwa zehn Jahren versuchen, den Umweltschutz gleich in die Verfahren hineinzupacken und so vor Ort das Entstehen von Abfall und Abwasser zu vermeiden. Die Mitarbeiter haben wir deshalb in die Produktionsbetriebe versetzt. Wenn man das mitrechnen würde, sind die Ausgaben sicher gewachsen.

Also weniger Dreck von Hoechst. Die Frankfurter können aufatmen, die Chemiefabrik Hoechst muß zumindest aus Umweltgründen nicht abwandern?

Es ist sicher noch nicht alles in Ordnung, aber wir sind im Wandel. In den vergangenen 18 Monaten haben wir nur eine Produktion wegen der hessischen Sondermüllabgabe ins Ausland verlagert – ein Pharmazwischenprodukt wird jetzt in Frankreich hergestellt.

1993 gab es einen großen Unfall. Hoechst hat anschließend eine Menge getan. Trotzdem gab es Anfang 1996 wieder einen Störfall. Sind die alten Anlagen eben doch nicht zu beherrschen?

Störfälle passieren bei allen Unternehmen, nur finden sie bei Hoechst besondere Beachtung. Die beiden Störfälle sind miteinander gar nicht vergleichbar. Der erste war wesentlich schwerwiegender. Wir können die Anzahl solcher Störungen nur permanent zurückfahren. Das ist ein mühsames Unterfangen. Gerade mit den neuen Automatisierungssystemen nimmt die Zahl der Fehler ab. Wo das nicht gelingt, gibt es ja auch die Alternative, die Produktion zu schließen.

Mehr Sicherheit bedeutet also auch mehr Automatisierung und schließlich weniger Arbeitsplätze.

Das habe sie klar erkannt. Vollautomatisierte Anlage brauchen erheblich weniger Arbeitsplätze. In diese Richtung geht die Chemieindustrie. Nach dem letzten Unfall im Januar haben wir allerdings 40 Störfallmanager eingestellt, die bei den Arbeitern im Werk großen Zuspruch finden. Die sind da, wenn man sie braucht, rund um die Uhr.

Viele alte Anlagen kann man nicht sicher machen.

Wir rüsten unsere Anlagen permanent auf den neuesten Stand nach. Aber es gibt ein anderes Problem. Wir haben vor allem in Griesheim den Typ der manuell zu bedienenden Anlage. Und die ist auf die Konzentration des Einzelnen im höheren Maße angewiesen als vollautomatische Produktion. Solange das klappt und die Produkte sich gewinnbringend verkaufen lassen, wird man diese Anlagen noch eine Weile betreiben. Eine Vollautomatisierung dieser Anlagen wird es nicht geben.

Was bedeutet eine ganz Weile?

Das kann man nicht genau sagen. Wenn die Preise stimmen und die Mitarbeiter die Anlagen beherrschen, sehe ich je nach Produktion fünf, sechs, sieben Jahre.

Beim ökologischen Vergleich mit anderen Konzerne schneiden Sie immer noch nicht gut ab. Das Hamburger Umweltinstitut hat sie im Umweltranking deutlich hinter dem Waschmittelkonzern Henkel, aber auch hinter der Konkurrenz von Bayer und BASF plaziert.

Unternehmen wie Henkel, die sich mit dem Markenbewußtsein und dem Ansehen ihrer Marke stärker beschäftigen mußten, sind ökologisch viel früher sensibilisiert worden. Deswegen liegt eine Firma wie Henkel bei der Ökorangliste heute weit vorn. Das ist das eine. Aber wir haben auch Schwierigketen mit dem Bewertungssystem der Hamburger. Wenn Störfalle, wie der bei uns 1993, gegenüber neuen Initiativen und Entwicklungen eine so große Rolle spielen, finde ich das ziemlich buchhalterisch. Trotzdem wünsche ich mir natürlich, daß wir weiter nach vorn kommen. Wir können uns mit dem Platz nicht zufrieden geben.

Wie ist denn ihr Trend beim Umweltverbrauch?

Beim Energieverbrauch haben wir die Ziele von Rio de Janeiro schon erreicht. Unsere Kohlendioxidemissionen liegen heute 27 Prozent niedriger als 1987. Auch beim Abfall und bei der Abluft geht es deutlich herunter. Da treibt uns der eigene Ehrgeiz, und es treibt uns natürlich auch das Bewußtsein, daß wir strenger gesehen werden als andere Unternehmen.

Im letzten Halbjahresbericht im Internet taucht aber das Wort Umwelt nicht auf. Zuwenig Bewußtseinswandel in den oberen Etagen?

Solche Berichte sind zielgruppenorientiert. Das bißchen, was wir in die Wirtschaftskennziffern hätten hineinschreiben können, reicht mir nicht. Deswegen wird der Umweltgesichtspunkt im „Progress Report“ gesondert dargestellt. Wir wissen, daß es dafür ein großes Interesse gibt. Wir präsentieren jetzt die Zahlen zu den Kohlendioxidemissionen jedes einzelnen Standorts im Internet und auf CD-ROM. Und Aktionäre, die an diesen Zahlen interessiert sind, weil sie das finanzielle Risiko einer Energiesteuer für den Konzern abschätzen wollen, können sich die Kennziffern ansehen.

Die Zusammenarbeit mit dem Öko-Institut richtet sich auch auf diese Zielgruppe?

Wir sind mit der Opposition ständig im Gespäch. Jetzt haben wir das Öko-Institut für die Zusammenarbeit bei einem besonders schwierigen Problem gewinnen können: nachhaltige Chemieproduktion. Es imponiert mir, daß das Öko-Institut das riskiert.

Wird Hoechst nach so einer Strategieberatung selbst nachhaltig. Produzieren sie künftig nicht nur so sauber, wie es geht, sondern hören auch auf mit der Herstellung überflüssiger Produkte wie mancher Lebensmittelszusatzstoffe?

Wir wollen an drei Produktgruppen die wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und ökologischen Auswirkungen überprüfen: Lebensmittelzusatzstoffe, Industriefolien und Superabsorber für Babywindeln. Was bedeutet Nachhaltigkeit, wenn man den gesamten Lebensweg eines Produkts betrachtet. Dafür wollen wir gemeinsame Meßlatten entwickeln. Wir haben uns auch darauf eingelassen, weil wir als Naturwissenschaftler und Ökonomen in einem solchen Konzern vielleicht auch betriebsblind sind, wichtige Aspekte übersehen.

Das Öko-Institut als Risikoberater, als Minenhund?

Auch das. Natürlich ist das auch ein Teil des Risikomanagment, es gibt gesellschaftliche Risiken, die wir beachten müssen. Das hat mich interessiert. Deswegen haben ich das auch intern gefördert. Bei uns gibt es aber auch Kritiker.

Und wie war's beim Verband der Chemischen Industrie (VCI)? Kritik? Ärger?

Ärger ist falsch, es gab deutlich eine Verwunderung. Im VCI sind eben progressive und konservative Meinungen vertreten. Ich habe es persönlich unternommen, dort die Zusammenarbeit zu erklären. Man hat das mit nachdenklichem Schweigen registriert. Interview: K.-P. Klingelschmitt

und H.-J. Tenhagen

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