piwik no script img

Die Absetzung des Wachtelkönigs

■ Senat beschließ Großsiedlung in Fischbek und schützt seltenen Vogel vor Hunden

Die gewählten Vertreter des Hamburger Volkes haben den Wachtelkönig abgesetzt. In unmittelbarer Nähe zum Nist- und Lebensraum der weltweit gefährdeten Vogelart im Moorgürtel des Hamburger Südostens soll ab Frühjahr 1997 eine Großwohnsiedlung für 10.000 Menschen entstehen. Gestern beschloß der Senat den Bau des umstrittenen Wohnquartiers „Neugraben-Fischbek“ mitten auf der grünen Wiese nördlich der S-Bahn-Station Neugraben. Natur- bzw. Vogelschutz und Wohnungsbau, erklärte der Senator für Konsens und Stadtentwicklung, Thomas Mirow (SPD), seien im Süder-elberaum miteinander vereinbar.

Genau das aber hatte der Hamburger Naturschutzbund (Nabu) bestritten und im Frühjahr Beschwerde gegen das Bauvorhaben bei der Europäischen Kommission eingelegt. Zunächst erfolgreich: Da die EU den Wachtelkönig als „bevorzugt zu schützende Art“ einstuft, verlangte Brüssel Stellungnahmen und Erklärungen, wie es angehen könne, daß Hamburg ausgerechnet seinen seltenen Bestand des rebhuhnartigen Vogels durch ein Bauvorhaben gefährden wolle.

Die Stadtentwicklungsbehörde reagierte. Im Juli wurde das Kieler Institut für Landschaftsökologie beauftragt, das „Wachtelkönig-Habitat“ in Neugraben-Fischbek zu bewerten. Ergebnis: Der Hamburger Bestand zählt zu den bundesweit 20 bedeutendsten und ist zur Ausweisung als EU-Vogelschutzgebiet geeignet. „Eine schallende Ohrfeige“ für die städtischen Planer, jubelten damals Naturschützer und Großwohnsiedlungs-Gegner.

Sie hatten nicht mit der Interpretationskunst des Senats gerechnet. Der vertagte zunächst seine Entscheidung, wie mit diesem unerwünschten Befund umzugehen sei, bis ihm folgender Trick einfiel: Jaja, setzte Senator Mirow die umweltbewußte Miene auf, „geeignet“ sei die Wiese schon als Vogelschutzgebiet. Aber „nach juristischer Bewertung“ ergebe sich daraus „keine Pflicht zur Ausweisung als Schutzgebiet“. Und freiwillig wollte der Senat diese Notwendigkeit nicht sehen. Zumal das hanseatische Wachtelkönig-Vorkommen eben bedauerlicherweise „in einem Ballungsraum“ liege, „in dem das wichtigste Ziel der Wohnungsbau ist“, machte Mirow die Prioritäten der Landesregierung unmißverständlich klar. Der Senator für Umwelt war denn auch erst gar nicht zur Pressekonferenz erschienen.

Dennoch solle der Wachtelkönig „so gut wie möglich geschützt“ werden, versprach Mirow. Gefahr drohe dem Federvieh, das hatten auch die Kieler Gutachter bestätigt, weniger durch den Wohnungsbau als durch „streunende“ Haustiere wie Hunde, Katzen und Pferde, die die künftigen Einwohner Neugraben-Fischbeks möglicherweise anschleppen könnten. Um dem vorzubeugen, wolle er „prüfen lassen“, schilderte Mirow sichtlich amüsiert, ob „Hunde- und Katzenhaltung vertraglich auszuschließen“ sei. In jedem Fall bestehe „Leinenzwang“ für Hunde. Hecken, Gräben und „Stahltraversen“ sollen Katzen daran hindern, in das Revier des Wachtelkönigs einzudringen. Um das durchzusetzen, werde eventuell eine „Informationsstelle mit Kontroll- und Aufklärungspflicht“ eingerichtet.

Nabu und GAL finden des Senators Vorschläge alles andere als witzig. Sie kündigten Klage in Brüssel bzw. Ablehnung des Bebauungsplans in der Bürgerschaft an. Heike Haarhoff

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen