: Mit „operativer Hektik“
Die Abhöraffäre in Santa Fu wird jetzt in einer Gerichtsposse um einen vielleicht verantwortlichen Redakteur eher nicht erhellt ■ Von Elke Spanner
Sitzen zwei Männer im Amtsgericht. Der eine flüstert dem anderen etwas zu. Sagt der Richter: „Sie halten den Mund.“ Der Gerügte brüstet sich daraufhin: „Ich bin Anwalt!“ Jetzt ist wieder der Richter dran: „Sie sind Anwalt? Sie? Zugelassen? Wo ist Ihre Robe?“ „Die habe ich nicht dabei.“ Kurzerhand wird beim Hamburger Rechtsanwaltsverein recherchiert: Es stimmt, er darf da sitzen, also wird er ebenso kurzerhand vom Angeklagten während der laufenden Verhandlung bevollmächtigt, ihn zu vertreten. Eigentlich hatte Ralph André Klingel-Domdey nämlich gar keinen Verteidiger, als er gestern vor dem Amtsgericht in Altona erschien.
„Jetzt Strafanzeige gegen Staatsanwälte?“ fragte im April 1995 die Hamburger Morgenpost in großen Lettern auf ihrer Hansestadt-Lokalseite. Nein. Die Strafanzeige läuft gegen die Mopo – weil sie ebendiese Frage stellte und Beweismaterial dazu veröffentlichte: Protokolle abgehörter Telefonate zwischen einer Strafvollzugshelferin in Santa Fu und Parlamentariern der Hamburger Bürgerschaft sowie dem damaligen Sprecher der Justizbehörde. In den Gesprächen wurden die Haftbedingungen bemängelt und der für die Sicherheitsfragen dort verantwortliche Hans Seemann kritisch angegangen – was der dadurch erfuhr, daß die Staatsanwaltschaft die Protokolle illegal an ihn weiterleitete.
Gestern sitzt aber nicht jener Staatsanwalt, sondern der seinerzeit für „Lokales“ verantwortliche Mopo-Redakteur Klingel-Domdey vor dem Kadi. Der will sich damit herausreden, daß er zwar verantwortlich wäre, aber eben doch nicht. Im Impressum tauchte sein Name als Ressortleiter auf, das stimme schon, auch, daß er das tatsächlich war. Doch nicht allein! Und just an jenem Tag im April will er schon recht früh nach Hause gegangen sein, so daß nicht er, sondern ein Kollege die Sache verbockt habe.
Allerdings hat er offenbar ein Kurzzeitgedächtnis: Denn Richter Herrmann fischt aus den Akten eine Stellungnahme Klingel-Domdeys, die er im April persönlich unterschrieben und an die Staatsanwaltschaft geschickt hatte. Dort heißt es, bei der Veröffentlichung habe er nicht das Bewußtsein einer strafbaren Handlung gehabt, die Abhörprotokolle habe er nicht für amtliche Schriftstücke im Sinne des Strafgesetzbuches gehalten.
Naja, muß Klingel-Domdey einräumen, die Stellungnahme habe er wohl abgegeben, aber doch nur im Zustand „operativer Hektik“, wie er kryptisch zu Protokoll gibt. Und deshalb sei sie nicht das Papier wert, auf dem sie geschrieben steht.
Das Rätsel lösen kann wohl nur der von Klingel-Domdey angeschwärzte Ressortleiter-Kollege. Richter Herrmann überlegt laut, ob der als Zeuge wohl erreichbar oder etwa im Urlaub wäre – als plötzlich ein Mann aus dem Zuschauerraum laut ruft: „Ich bin hier!“ Womit sich die Möglichkeit, ihn als Zeugen zu laden, auch erledigt hätte.
Der Prozeß wird fortgesetzt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen