„Oft war er auch liebevoll“ zu Maren“

■ Vor Gericht: Stiefvater soll 11 Jahre alte Tochter 27mal sexuell mißbraucht haben

„Wir müssen darüber reden, was damals passiert ist“, sagt Richter Kurt Kratsch zu der 16jährigen Maren (alle Name von der Redaktion geändert), die gegenüber auf der Klägerbank sitzt. „Ja“, sagt sie. Ihr Stiefvater soll sie sexuell mißbraucht haben, als sie gerade mal 11 Jahre alt war. Gestern begann die Hauptverhandlung gegen Sven Müller im Saal 231 des Bremer Landgerichts.

Reden muß Maren jetzt – über die Zeit, als ihre Mutter Sven Müller heiratete und der gelernte Dachdecker im Oktober 1991 in ihre Wohnung einzog – die Wohnung, in der Mutter Anna, Tochter Maren und Sohn Nick aus erster Ehe zuhause waren. Schließlich tritt sie im Prozeß der Staatsanwaltschaft als Nebenklägerin auf. „Ja, ich will aussagen“, sagt sie tapfer und Richter Kratsch nähert sich ganz vorsichtig dem eigentlichen Tatvorgang. „Ist er so weit gegangen, daß es Geschlechtsverkehr war, daß er bei dir drin war?“, fragt er vorsichtig. Maren nickt: „Ja“. Genauer soll sie es sagen. Und Maren antwortet, redet und spricht – immer flüssiger und immer ausführlicher. Einen Monat nach der Heirat hätte alles angefangen – da war Maren gerade elf Jahre alt. Mit „Anfassen an Brust und Scheide“, wenn die Mutter arbeiten war. „Nachdem er sterilisiert war“, sei er das erste Mal in sie eingedrungen – im Bett, im elterlichen Schlafzimmer. Bis zu 27 mal habe er sie sexuell mißbraucht, über einen Zeitraum von zwei Jahren. Meistens sei „es“ im Schlafzimmer passiert, „weil ich oft dort und nicht in meinem Zimmer war“, erklärt Maren dem Richter. Einen Umstand, der sowohl Staatsanwalt Schmundt als auch den Rechtsanwalt des Angeklagten, Peter Bliemeister, stutzig macht: „Man wundert sich, warum Sie immer dort hingegangen sind“, so Bliemeister. Maren bleibt gefaßt: Vor ihrem Kinderzimmer hätten ständig Jungs gestanden, sie als Schlampe beschimpft und da sei sie nicht gerne in ihrem Zimmer gewesen, das ganz ohne Gardinen war.

Hinten im Zuhörerraum sitzt der Angeklagte, neben ihm seine neue Lebensgefährtin. Im Oktober 1993 ist Sven Müller aus der Wohnung seiner Frau Anna ausgezogen: „Es war nicht leicht, Zugang zu der Frau zu finden“, sagt der 41jährige, der lange Jahre alkoholabhängig war und bereits eine Entziehungskur hinter sich hat, und hört sich schweigend an, was Maren über einen Abend vor vier Jahren zu erzählen hat: Die Eltern feiern unten in einer Garage, der angetrunkene Stiefvater kommt in die Wohnung, weil er „mal auf die Toilette muß.“ Er läßt im Flur seine Hose fallen, zieht Marens herunter, stellt sie mit dem Gesicht zur Wand – sie muß sich etwas vorbeugen. Dann vergewaltigt der Stiefvater die Tochter und sagt kein Wort, erinnert sich Maren. Schweigen im Saal. Auch an den Vorfall bei der Oma erinnert sie sich noch: Da seien Mutter und Sohn mit der Oma einkaufen gewesen. Der Opa habe im Wohnzimmer gesessen und sie habe sich gerade in einem anderen Zimmer umgezogen. Plötzlich sei ihr Stiefvater gekommen, habe sie in T-Shirt und Schlüpfer auf das Bett geworfen – nur der plötzlichen Rückkehr der Oma sei es zu verdanken gewesen, daß er sich an diesem Tag nicht an ihr vergangen habe. Mindestens einmal habe sie sogar sein Glied in den Mund nehmen müssen – der Stiefvater habe verkehrt herum auf ihr gelegen – „das hat er dann aber vor dem Orgasmus herausgezogen“, sagt Maren – und auf dem Bauch ejakuliert. „Und die Zunge hatte er an deiner Scheide?“, fragt der Richter und Maren nickt. „Hat er jemals irgendwas gesagt?“ – „Nur, ich liebe dich“.

Stiefvater Sven Müller hat vor der Aussage seiner Stieftochter alle Vorwürfe bestritten. „Maren lügt“, sagte er – das ganze sei ein Racheakt, den Mutter und Tochter gemeinsam ausgeheckt hätten, „weil ich damals ausgezogen bin“. Immer wieder seien ihr Tränen über das Gesicht gelaufen, als er sie mißbrauchte, beteuert sie vor der Strafkammer. Sie hätte sich innerlich dagegen gewehrt, daß auch sie einige Male zum Orgasmus gekommen sei. Wieder und wieder hätte sie gesagt: „Nimm deine Hand weg und laß das“. So hätte sie sich gewehrt, erzählte sie, als Richter Kratsch immer wieder danach fragt. Denn gedroht hätte er ihr auch, wenn sie ihn verrät – mit Schlägen. „Ich konnte es irgendwann nicht mehr verdrängen“, sagt Maren. Erst ein Jahr nach Sven Müllers Auszug hätte sie sich einer Freundin anvertraut. Ihr damaliger Freund Thomas hätte es dann der Mutter erzählt.

„Heute glaube ich meiner Tochter“, sagte die Frau gestern, die sich „das alles vorher nicht vorstellen konnte“. „Wir haben doch sogar alle vier zusammen gebadet und uns gut verstanden“. Schließlich sei Sven auch oft liebevoll zu Maren gewesen.

Sexueller Mißbrauch wird bei besonders schweren Fällen mit bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe bestraft.

Die Verhandlung geht am kommenden Montag und Mittwoch weiter. Schon gestern ist Maren während der Pause in den Armen ihrer Freundin zusammengebrochen. kat