Ärzte aus dem Kreißsaal

■ Streit ums Gebären beim Kongreß „Unter anderen Umständen – Mutter werden in dieser Gesellschaft“

Heribert Kentenich will sein Ultra-Schall-Gerät partout nicht aus dem Fenster schmeißen und ebensowenig Ärzte aus dem Kreißsaal verbannen. Der Leiter einer Berliner Frauenklinik fing sich mit dieser Position gestern laute Protestrufe von KongressteilnehmerInnen ein: Rund 400 Hebammen, FrauenärztInnen und WissenschaftlerInnen waren der Einladung der Bremer Frauenbeauftragte Ulrike Hauffe zum Thema „Unter anderen Umständen – Mutter werden in dieser Gesellschaft“ an die Bremer Uni gefolgt.

Da lebte sie wieder auf – die alte Rivalität zwischen Hebammen und Ärzten. „Warum ist das Kilometergeld für einen Arzt mehr wert, als das einer Hebamme“, ärgerte sich auch die Bremer Frauenbeauftragte und erntete tosenden Beifall auf der gestrigen Abschlußdiskussion. Nur 741.000 Mark hat die Bremer Handelskrankenkasse (HKK) für Hebammen im Jahr 1995 ausgegeben – die ärztlichen Leistungen für Entbindungen schlagen derweil mit 7,2 Millionen Mark zu Buche. Daß an der Gebührenordnung für Hebammen noch viel getan werden muß, darüber war sich die Runde einig.

Doch noch ein anderer Mißstand erhitzte die Gemüter: Obwohl Hebammen laut Gesetz für Vorsorge, Geburt und Nachsorge zuständig sind, entbinden vor allem die Ärzte im Kreißsaal. „Ich fühle mich bei der Geburt oft überflüssig“, sagt die Ärztin Beate Schücking aus Osna-brück. Zwar können Frauen zwischen Klinik- oder Hausgeburt, Arzt oder Hebamme als Betreuende wählen. Doch zuwenige nutzen das – aus Angst vor Komplikationen. Die Hebamme Barbara Staschek aber weiß: „Wir verhelfen gesünderen Kindern zum Leben.“ Auch die Ärztin Beate Schücking stimmt zu: In Holland, Schweden und Norwegen sei die Mortalitätsrate unter Neugeborenen wesentlich niedriger, weil dort nur Hebammen im Kreißsaal sind. „Eine schwedische Frau erschrickt doch erst, wenn der Arzt vorbeikommt, dann befürchtet sie Komplikationen.“ Entbindung ohne Ärzte sollte auch in Deutschland Schule machen, sind Hebammen einig. Bis zu einer zweiten Tagung wollen sie Vorschläge ausarbeiten. Auch wenn der Berliner Mediziner Kentenich wegen „möglicher Gefahren“ nicht auf einen Arzt im Kreißsaal verzichten will.

Die Bremer Frauenbeauftragte Ulrike Hauffe dagegen mahnte vor Idealisierung und rief zu „ideellen Perspektivenwechsel“ in der Gesellschaft und zu einer anderen Gesundheits- und Sozialpolitik auf. Was derzeit geschehe, „das ist die Entmündigung der Frau. Das ist der Zwang, gute Kinder zu gebären, die in die Gesellschaft passen“. Damit sprach Hauffe auch die pränatale Diagnostik als festen Bestandteil weiblicher Gesundheitsvorsorge an, die auf dem Kongreß deutlich kritisiert wurde. Die Historikerin Barbara Duden sprach gar von einer „neuen Angst vor Schwangerschaft“. Sie geht dabei von einem historischen Bruch aus: Während in den 50er Jahren Hausgeburten noch ganz selbstverständlich waren, kam es später zu einer „Klinisierung“ und in den folgenden 70er Jahren zu einer „Medikalisierung der Geburt“. Duden: „Die Schwangerschaft ist symbolisch technisch umgeformt worden.“ Frauen konnten schon immer schwanger sein und gebären, gab Duden zu Bedenken und die Moderatorin Katharina Felixmüller rief dringlich durchs Mikrofon: „Hebamme Iris, bitte kommen Sie schnell. Ihre Patientin liegt in den Wehen.“ kat