: Ithaka ist überall, McDonalds auch
■ AbiturientInnen verlegten Homers „Odyssee“ in den Bremer Westen
Am Anfang herrscht hektisches Gewusel. Schüler, Eltern und andere Verwandte laufen laut schnatternd durch die Stuhlreihen der Aula, in der es nach Tafelkreide riecht. Mittendrin, am aufgeregtesten von allen, die Lehrerin, heute abend auch die Regisseurin. „Gestern hat der Strom doch noch funktioniert...“, stöhnt sie am Rande der Verzweiflung. Da kann nur noch der Hausmeister helfen! Ganz Fels in der Brandung, spricht er beruhigende Worte: „Wird schon klappen.“ Dann wird es dunkel und einige schwarzgekleidete Gestalten besteigen die Bühne: Im Schulzentrum Walle führt der „Kurs für darstellendes Spiel“ die „Odyssee“ nach Homer auf.
Auweia, mag man denken. Ging's nicht eine Nummer kleiner? Aber auch das ganz normale Leben ist eine Odyssee; das ist die Botschaft, die die SchülerInnen der 13. Klasse ohne Plattheiten auf die Bühne bringen.
Vom alten Homer übernimmt ihre lockere Szenenfolge nur die großen Themen und übersetzt sie ins Walle von 1996, wo sich alle auskennen. So wird aus der köstlichen Frucht der Lotophagen, die dem Esser die Sehnsucht nach Heimkehr nimmt, das große Fressen bei McDonalds; und die von Circe in Schweine verwandelten Männer lassen die Sau bei Werder gegen Galatasaray raus. Die Zuschauer schmeißen sich weg vor Lachen. Aber die Kids aus Walle können mehr als nur Slapstick: Mit einfachen, aber wirkungsvollen Mitteln wie Licht und Dunkelheit - und fast ohne Worte - legen sie los, und ihre Lust am Spiel überträgt sich auch auf die Zuschauer.
Seit zwei Jahren spielen die Zwölftklässler Theater. Seit einem Jahr arbeiten sie an der Odyssee, zuletzt auch in den Ferien und am Wochenende und mit der professionellen Hilfe von Leonardo Cruz vom Bremer Tanztheater. „Theaterspielen ist ein wichtiger Kontrast zu der ganzen Kopfarbeit hier“, meint Barbara Larisch, die Lehrerin, ohne deren Engagement eine solche Aufführung wohl nicht möglich gewesen wäre. Und ihre Arbeit überzeugt sogar mißgünstige Kollegen: „Wer hätte das gedacht, daß die sowas hinkriegen, wo sie doch sonst nur vorm Computer und vor der Glotze hängen“, tönt es von einem der Nachbarstühle.
Wenn die SchülerInnen wollen, können sie mit einer gut hingelegten Szene vor der Prüfungskommission nächstes Jahr sogar ihr mündliches Abitur im Fach „Darstellendes Spiel“ bestehen. Reife-Prüfung, was bedeutet das eigentlich, für sie selbst und für Odysseus? Auch diese Frage haben sie sich gestellt und beschlossen, ihren Helden nicht geläutert von seiner Reise zurückkehren zu lassen. Wichtiger ist ihnen sein Standhalten in den diversen Stürmen; das vermittelt jedenfalls die letzte der kleinen Choreographien, bei der sich alle miteinander gegen einen unsichtbaren Wind stemmen.
Als am Ende das Licht wieder angeht, gibt es langanhaltenden Beifall und Blumen für alle Akteure. Und einen besonderen Applaus für Mechthild – die hat nämlich seit dem Kurzschluß kurz vor Beginn der Aufführung draußen gestanden und die Steckdosen bewacht.
Anja Robert
Aufführung Mi 20.00 Uhr, SZ Walle, Lange Reihe 81
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen