: Das „Exil“ macht mobil
Dem Kreuzberger Restaurant „Exil“ wurde der Mietvertrag gekündigt. Werkbund organisiert Ausstellung zur Mobilisierung der Öffentlichkeit ■ Von Tim Köhler
Autonome kübelten Scheiße über den Kopf des Kellners. „Das Schickimicki-Restaurant zerstört unseren Kiez und muß weg“, stand in dem Bekennerschreiben nach der Aktion Ende 1992. Inzwischen ist es ruhig geworden um das „Exil“, dem traditionsreichen Speiserestaurant in Kreuzberg. Heute attackiert niemand mehr das Lokal. Ganz und gar von Wein zugewuchert und ungestört essen und trinken hier wohlsituierte Gäste in gepflegter Ambiente am idyllischen Ufer des Landwehrkanals. Noch. Denn was die Vermummten vor Jahren nicht schafften, gelingt bald vielleicht einer Rechtsanwältin aus Grunewald. Frau Fricke-Muschiol ist die Besitzerin des Lokals und kündigte der Betreiberin zum Ende des Jahres ohne Angaben von Gründen den Mietvertrag. Eine Rechnung ohne die Wirtin, denn die streitbare, langjährige „Exil“-Betreiberin, Ursula Taheri versteht es, Öffentlichkeit für ihr Restaurant zu mobilisieren. Gestern wurde in dem kleinen Gartenrestaurant eine Architekturaustellung des Deutschen Werkbundes Berlin mit Unterstützung des Landesdenkmalamtes eröffnet. „Das Gebäude ist typisch für den einmaligen Stadtbereich am Paul-Lincke-Ufer. Es vereinigt die Promenade mit tiefen Vorgärten, breite, repräsentative Miethausfassaden und tiefe Gewerbe-, und Fabrikblöcke, gemischt mit einer offenen Bebauung“, erklärt Matthias Koeppel vom Werkbund.
Zu der gestrigen Soli-Matinee erschien eine Menge Prominenz. Der SPD-Bundestagsabgeordnete Otto Schily, der Schauspieler Otto Sander und andere Größen aus der Stadt kamen und machten deutlich, daß ihnen etwas am dem Erhalt des Restaurants in der gegenwärtigen Form liegt. Eine Unterschriftenliste für den Erhalt des „Exil“ wurde ausgelegt.
Die Innenwände des Lokals sind Kunstwerke. An die Decke malte der österreichische Maler Günther Brus das Bild „Der Herzinfarkt“. An drei Wänden ist Dieter Roths 1975 entstandene „Bierblume“ zu sehen. Es ist das über Jahre gewachsene historische Interieur, für das Ursula Taheri kämpft. Seit 1983 leitet sie das Lokal. In einem wütenden Telefonat vor zwei Wochen antwortete sie der Hausbesitzerin, man werde noch sehen, ob sie die Räumlichkeiten fristgerecht und geräumt übergebe. „Es geht nicht an, daß wir hier vertrieben werden. Es geht nicht um Geld, wir wären auch bereit, eine höhere Miete zu bezahlen. Sie wollen das zerstören, was wir uns aufgebaut haben.“ Die momentane Miete beträgt knapp 2.000 DM. Es gibt Gerüchte, die Besitzerin des Gebäudes möchte an eine japanische Restaurantkette vermieten.
Das „Exil“ wurde 1972 gegründet von Exilanten. 1970 schiß der österreichische Aktionskünstler Günther Brus in Wien öffentlich auf eine Flagge. Der Schriftsteller Oswald Wiener war dabei zugegen. Beide wurden deswegen von Staatsanwälten verfolgt. Sie flohen deshalb in das liberalere Berlin.
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