Heute berät das Kabinett Wirtschaftsminister Rexrodts Gesetzentwurf zur Liberalisierung des Energiemarkts. Die Monopolstellung der Stromriesen soll geknackt werden, jeder Anbieter von Strom und Gas soll jeden Kunden direkt beliefern können. Die Sorge der Kritiker: Wieder profitieren nur die Konzerne und ihre Großabnehmer Von Markus Franz

Dumpingpreise festigen das Monopol

Man stelle sich vor: Die Firma Daimler Benz besitzt 85 Prozent der deutschen Autobahnen. Fahrer der Marke BMW dürfen nur dann die Autobahnen benutzen, wenn diese nicht schon mit Mercedes ausgelastet sind und müssen zudem eine gesalzene Maut bezahlen. Würde dann noch jemand BMW kaufen? Ähnlich wird die Lage im Energiebereich sein, wenn sich Bundeswirtschaftsminister Günter Rexrodt (CDU) mit seinem Entwurf zum Energiewirtschaftsgesetz durchsetzt, der heute im Bonner Kabinett beraten wird. Das befürchten jedenfalls die Oppositionsparteien. Aber selbst aus den Reihen der Regierungskoalition kommt Kritik.

Neun Stromriesen teilen sich in Deutschland fast den gesamten Energiemarkt untereinander auf und setzen dabei 120 Milliarden Mark um. Sie produzieren 85 Prozent des Stroms, schicken ihn durch ihr eigenes Netz und verkaufen ihn. Demarkationslinien sorgen dafür, daß jeder von ihnen sein garantiertes Absatzgebiet hat, in dem niemand anders wildern darf. Ein Stachel im Fleisch der Monopolisten sind lediglich die Stadtwerke, die ihren Strom zum Teil selbst herstellen.

Alle Verluste werden auf die Kunden abgewälzt

Zurückzuführen ist diese Monopolisierung der Stromwirtschaft auf ein von den Nazis erlassenes Gesetz aus dem Jahre 1935 zur „Wehrhaftmachung der deutschen Energieversorgung“. Die Gewinne der Monopolisten gehen jedes Jahr in die Milliarden; in den letzten sechs Jahren machten allein die drei größten Firmen einen Gewinn von 36 Milliarden Mark. Ein Risiko tragen sie nicht. Alle Kosten, alle Verluste werden auf die Kunden abgewälzt. Die Strompreise in Deutschland gehören zu den teuersten Europas. Während ein Industriebetrieb in Helsinki pro Kilowattstunde Strom 7,33 Pfennig zahlt, wird eine Firma in Düsseldorf mit 13,03 Pfennig zur Kasse gebeten. Französische Unternehmen haben im Durchschnitt eine Kostenersparnis von 40 Prozent, wie der Informationsdienst des Instituts der deutschen Wirtschaft feststellt.

Günter Rexrodt ist der erste Minister, der diese Situation ernsthaft verändern will. Sein Gesetzentwurf sieht vor, den Strommarkt zu liberalisieren. Demarkationslinien werden abgeschafft, jeder Anbieter von Strom und Gas soll zukünftig jeden Kunden über eine Direktleitung beliefern können. So weit so gut. Merkwürdig nur, daß ausgerechnet die Stromriesen applaudieren. Zwar funktioniere die Stromversorgung „ganz hervorragend“, betont Preussen-Elektra-Chef Hans Dieter Harig. Doch „in einer Zeit, wo sich alle Märkte öffnen, kann die Energiewirtschaft nicht ausgespart bleiben“.

SPD und Bündnisgrüne haben eine Erklärung für solch ungewohnte – weil scheinbar uneigennützige – Statements. Sie sagen: So, wie der Bundeswirtschaftsminister das Gesetz will, wird alles noch viel schlimmer.

Die energiepolitische Sprecherin der Bündnisgrünen, Michaele Hustedt, bezeichnet das Gesetzeswerk gar als „Monopolschutzgesetz“. Ihre Sorge: Die Stromkonzerne werden mit ihrer Macht über das Stromnetz den Konkurrenten den Netzzugang verwehren oder zumindest erschweren und sie mit Dumpingpreisen in die Knie zwingen. Denn niemand kann die Monopolisten ohne weiteres zwingen, durch ihre Leitungen auch fremden Strom oder fremdes Gas zu leiten und schon gar nicht zu fairen Preisen.

Das Rexrodt-Gesetz sieht lediglich vor, daß die Durchleitung unter Berufung auf das allgemeine Mißbrauchs- und Behinderungsverbot für marktbeherrschende Unternehmen erzwungen werden kann. Voraussetzung ist allerdings, daß die Energieautobahnen nicht schon von dem selbstproduzierten Strom des Netzbesitzers besetzt sind. Notfalls muß prozessiert werden. Und ob die Kläger immer genug Zeit und Geld haben, um sich gegen die Topjuristen der Großkonzerne langwierige Rechtsstreitereien zu leisten, ist fraglich.

Die Konkurrenten könnten zwar theoretisch eigene Netze bauen. Doch diesbezüglich ist selbst der Berichterstatter für Energiepolitik der CDU/CSU- Bundestagsfraktion, Peter Ramsauer, skeptisch. Nach seinen Erfahrungen als Kommunalpolitiker sei der Leitungsbau heute aus Gründen des Umweltschutzes kaum mehr durchsetzbar. Zudem, so die Befürchtung von Politikern der Opposition, werden die Konkurrenten durch Dumpingpreise vom Markt vertrieben. Aufgrund ihrer bis zum Rand gefüllten Kassen, so der energiepolitische Sprecher der SPD, Volker Jung, würden sich die Stromriesen die lukrativen Großkunden wegschnappen, indem sie über Jahre kräftige Rabatte gewährten.

Das Nachsehen hätten dann zum Beispiel die Stadtwerke, die bisher auf ihrem Gebiet eine Monopolstellung genießen. Viele von ihnen würden nicht mehr überlebensfähig sein, vermutet der Hauptgeschäftsführer im Verband kommunaler Unternehmen, Felix Zimmermann. Darunter hätten dann vermutlich auch die Haushalte zu leiden. Um sich die Dumpingpreise bei den Großkunden leisten zu können, würden sie die Rechnung für die Kleinkunden erhöhen.

Zusätzlich zu den höheren Stromtarifen drohten den Haushalten durch das Rexrodt-Gesetz auch noch Aufschläge bei anderen kommunalen Leistungen, vermutet Volker Jung. Denn mit dem Gesetz ist zu befürchten, daß die Kommunen auf die insgesamt sechs Milliarden Mark Konzessionsgebühren verzichten müssen, die die Strommonopolisten dafür zahlen, daß sie eine Gemeinde exklusiv mit Strom beliefern dürfen. Mit diesen Einnahmen werden defizitäre Leistungen wie der öffentliche Nahverkehr finanziert. Würden sie wegfallen, so Jung, seien die Kommunen gezwungen, Leistungen zu streichen oder mehr Geld zu verlangen. Günter Rexrodt teilt diese Bedenken allerdings nicht. Er unterstellt, daß die Gemeinden weiterhin Konzessionsabgaben fordern dürfen.

Die Bündnisgrünen haben einen eigenen Gesetzentwurf vorgelegt. Um Wettbewerbsbeschränkungen vorzubeugen, schlagen sie vor, daß die Stromerzeuger nicht gleichzeitig im Besitz des Stromnetzes sein dürfen. Ein staatlicher Strompool soll zudem kostenneutral Angebot und Nachfrage steuern und den Verkauf von erneuerbaren Energieträgern fördern. Beim Rexrodt- Entwurf kommen die Worte „erneuerbare Energien“ kein einziges Mal vor. SPD und Bündnisgrüne fürchten daher, daß in einem rein auf Wettbewerb fixierten Strommarkt ökologisch erzeugte Energie kaum eine Chance hat.

SPD-Energiepolitiker Jung lehnt den Entwurf der Bündnisgrünen allerdings als wenig realistisch ab. Eine Enteignung des Stromnetzes sei verfassungsrechtlich problematisch. Einige CDU- Abgeordnete sehen das anders. Eine Umweltpolitikerin der Partei sagt mit Hinweis darauf, daß das Stromnetz schließlich einst mit öffentlichen Mitteln aufgebaut worden ist: „Enteignung? Die Stromkonzerne haben uns doch enteignet.“

Dennoch können sich die Bündnisgrünen einen Kompromiß vorstellen: Die Durchleitung von Strom wird gesetzlich vorgeschrieben und Rahmenbedingungen für mehr Umweltschutz werden vorgegeben. Damit würden außer der SPD auch Politiker der Koalition mitgehen, wie Peter Ramsauer. Der setzt sich für einen Durchleitungstatbestand im Energiewirtschaftsgesetz ein. Das letzte Wort ist noch lange nicht gesprochen. Das hat diesmal der SPD-dominierte Bundesrat.