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Abschiebungen sind ungültig

■ Ehemaligen Vertragsarbeitern, denen wegen Bagatelldelikten bisher die Ausweisung drohte, soll zukünftig eine Aufenthaltsbefugnis ausgesprochen werden

Einen Tag nach der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, Ausweisungen von Vietnamesen wegen Zigarettenhandels nur nach sorgfältiger Einzelfallprüfung für gültig zu erklären, herrscht in der Innenverwaltung noch Schweigen. „Erst warten wir die Urteilsbegründung ab, dann wissen wir, wie wir darauf reagieren“, sagte gestern Schönbohms Sprecherin Francine Jobatey.

Tamara Hentschel von „Reistrommel e.V.“ geht hingegen davon aus, daß eine große Zahl von Ausweisungsbescheiden in Berlin nach der richterlichen Entscheidung ihre Gültigkeit verlieren werden. „Seit 1992 werden Ausweisungen bei Vietnamesen, die illegal mit Zigaretten handelten, via Serienbrief erstellt, ohne daß die individuellen Interessen der Betroffenen berücksichtigt werden. Selbst bei Petitionen waren Härtefälle – darunter alleinerziehende Frauen, Familien mit schwerkranken Kindern, die hier geboren wurden – von zwei Ausnahmen abgesehen chancenlos.“ Die Ausländerbehörde müßte sich nun die Mühe machen, jede Ausweisung individuell zu prüfen. Bislang reichte – anders als in anderen Bundesländern – illegaler Zigarettenhandel als Ausweisungsgrund.

Wie erst jetzt bekanntwurde, ermächtigte Bundesinnenminister Manfred Kanther (CDU) die Länder bereits am 5. September, denjenigen ehemaligen Vertragsarbeitern aus Vietnam, Angola und Mosambik, die wegen Bagatellstrafen bis zu 50 Tagessätzen verurteilt wurden, aber seit Juni 1993 straffrei sind, eine Aufenthaltsbefugnis auszusprechen.

Prompt hat Brandenburg auf den Kanther-Vorschlag reagiert und ihn an die Ausländerbehörden weitergereicht. In Berlin und Sachsen haben noch immer viele Bagatelltäter eine Ausweisung in der Tasche. Klaus-Jürgen Dahler von der Bürgerinitiative für ausländische MitbürgerInnen Hohenschönhausen: „Noch in den letzten Tagen gab es Abschiebungen von ehemaligen vietnamesischen VertragsarbeiterInnen, die wegen Zigarettenhandels zu weniger als 50 Tagessätzen verurteilt wurden.“ Wegen des komplizierten Abschiebeverfahrens nach Vietnam schiebt die Berliner Ausländerbehörde zuerst die Leute ab, deren sie habhaft wird. Und das sind in aller Regel solche Vietnamesen, deren Straftaten weit zurückliegen, und die seit Jahren hier integriert sind. Ihre Kinder besuchen hier Kitas und Schulen.

Peter Stefan Taeubner, der im Erzbistum Berlin Vietnamesen betreut, berichtet von Familien, die durch die Abschiebung auseinandergerissen werden, weil ein Ehepartner Anfang der neunziger Jahre mit unversteuerten Zigaretten handelte. Die Berliner Abgeordnete Karin Hopfmann (PDS) hatte für die gestrige Sitzung des Ausländerausschusses eine aktuelle Viertelstunde zur Umsetzung des Kanther-Vorschlages in Berlin beantragt. Wegen eines Übermittlungsfehlers kam der Antrag nicht rechtzeitig in den Ausschuß. „Jetzt muß abgestimmt werden, ob das Thema doch noch auf die Tagesordnung kommt.“ Das Ergebnis der Abstimmung lag bis Redaktionsschluß nicht vor.

Mit dem bislang geheimgehaltenen Rundschreiben hat Kanther eine Uraltforderung von Ausländerinitiativen, Oppositionspolitikern und Kirchenvertretern aus den neuen Bundesländern aufgegriffen. Marina Mai

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