: Schrempp marschiert
■ Lohnfortzahlung: IG Metall soll verhandeln
Eigentlich könnte sich die IG Metall zurücklehnen und abwarten. Juristisch gesehen. In einigen Tarifverträgen ist die 100prozentige Lohnfortzahlung ausdrücklich festgeschrieben. Einzelklagen, etwa von Daimler-Mitarbeitern, könnten schon bald eine erstinstanzliche Entscheidung eines Arbeitsgerichts erzwingen. Aber das wäre nur ein vorläufiger Sieg.
Denn Arbeitsgerichte in Bezirken, in denen die volle Lohnfortzahlung nicht eindeutig tariflich festgelegt ist, kämen wohl zu negativen Schlüssen für die Gewerkschaft. Eine bundeseinheitliche Lösung für die gesamte Metallbranche wäre durch juristische Einzelentscheidungen also noch keinesfalls gefunden. Außerdem würde der juristische Sieg nur solange währen, wie die Manteltarifverträge gelten. Die Arbeitgeber würden die Tarifverträge kündigen, der politische Konflikt wäre spätestens dann unvermeidlich.
In Wirklichkeit ist der politische Konflikt jetzt schon da, Daimler-Chef Jürgen Schrempp und andere Konzernvorstände haben dafür gesorgt. Wie gereizt und verunsichert die Stimmung bei den Belegschaften ist, zeigt die eilends zusammengeschusterte betriebliche „Einigung“ beim bayerischen Automobilkonzern BMW. Da wird Erkrankten zwar der 100prozentige Lohn garantiert. Gleichzeitig aber sollen die Krankheitstage mit dem Urlaub verrechnet werden. Wie genau, sollen die Tarifvertragsparteien entscheiden, heißt es in der Erklärung von BMW. Genau das ist es: Die Arbeitgeber bauen darauf, daß die IG Metall durch die Drohung Schrempps und anderer Konzernspitzen dazu gezwungen wird, über die Lohnfortzahlung zu verhandeln. Zu verhandeln also über eine soziale Errungenschaft, die bisher als tariflich gesichert galt. Die Lohnfortzahlung soll als Manövriermasse in den Tarifverhandlungen auftauchen. Ein bißchen weniger Urlaub hier, Kürzungen beim Weihnachtsgeld dort: Möglichkeiten, die Entgeltfortzahlung mit Sonderleistungen zu verrechnen, gibt es genug.
Damit öffnet der Streit um die Lohnfortzahlung eine neue politische Dimension. Ein Tarifbruch zwingt die Gewerkschaft an den Verhandlungstisch. Inzwischen ist alles möglich. Und genau darauf setzt Jürgen Schrempp. Barbara Dribbusch
Bericht Seite 4, Reportage Seite 11
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen