: Perschau in der Patsche
■ CDU-Klientel Großprojekten gegenüber skeptisch / Perschau: Technologie-Park im Hollerland
Die Frage Nummer 9 hatte Wirtschaftssenator Hartmut Perschau (CDU) sichtlich in die Bedrouille gebracht. Mit glänzender Stirn trat er am Freitag abend auf dem außerordentlichen Landesparteitag der CDU in Vegesack vor die rund 300 Delegierten. „Wir sollten nicht versuchen, sogenannte größere Projekte gegen die kleineren auszuspielen“, richtete er seine Worte an die Parteigenossen.
Kurz zuvor hatte Frank Lutz, Bürgerschaftsabgeordneter und Sprecher der Mittelstandsvereinigung, ihn ermahnt, über all die Großprojekte wie Space- oder Ocean-Park den Mittelstand und das Handwerk nicht zu vergessen. Auch die kürzlich durchgeführte Fragebogenaktion der CDU, die Thema des Landesparteitages war, hatte ergeben, daß das Klientel der Partei Großprojekten eher skeptisch gegenübersteht. Nur 230 der 2019 Befragten kreuzten auf Frage Nummer 9 als Antwort an, daß sie in Großprojekten wie dem Ocean- oder dem Space-Park das Heilmittel zur Stärkung der Wirtschaftskraft sehen würden. 547 wünschten sich lieber eine offensive Mittelstandsförderung. 1.242 sprachen sich für eine ausgewogene Mischung aus.
„Wir werden auf die Ergebnisse der Fragebogen reagieren und sie in unsere Politik einfließen lassen“, hatte Neumann Anfang September zu Beginn der Werbeaktion versprochen. Neun der zehn Antworten, die das CDU-Klientel abgegeben hatten, lagen ganz auf der Linie der CDU-Politik. Nur Frage 9 nach den Großprojekten hatte es in sich und brachte den Wirtschaftssenator in Verlegenheit. Der ansonsten für seine Eloquenz bekannte Perschau versuchte händeringend die bisherige Wirtschaftspolitik des Ressorts zu verteidigen.
Es war nicht das erste Mal, daß er sich diese Kritik anhören mußte: Wenige Tage zuvor hatte Lutz ihn auch öffentlich kritisiert und ihm vorgeworfen, daß das Wirtschaftsressort Großprojekte subventioniere, aber zahlreiche Anträge von Mittelständlern liegenließe.
Space- und Ocean-Park seien „kein Gegensatz“ zum Mittelstand, betonte er. Im Gegenteil: Mit diesen Parks würden vielmehr „wirtschaftliche Akzente“ gesetzt, von denen auch der Mittelstand profitiere. 3,6 Millionen Besucher würde der Space-Park nach Bremen ziehen, versprach der Wirtschaftssenator. Zwischenzeitlich seien für rund 300 Millionen Mark Investoren gefunden worden, und auch für den Ocean-Park stünden Geldgeber parat, die 550 Millionen Mark investieren würden. Die Sogwirkung dieser Parks würde auch den mittelständischen Betrieben volle Kassen bescheren, prognostizierte Perschau. Außerdem müßten die Technologie-Parks bis ins Hollerland ausgedehnt werden: „Es wäre einfach sündhaft, auf dieses Gebiet zu verzichten“, rief Perschau seinen Parteigenossen zu.
Daß er das Lürssen-Gelände, das nur einen Steinwurf vom Tagungsort entfernt liegt, diesmal – entgegen seiner Gewohnheit – nicht mit aufzählte, als er über „die Chancen“ Bremens sprach, hatte einen guten Grund: Beim Kampf um den Bau eines Verbrauchermarktes auf dem Gelände, das als eines der wertvollsten Ufergrundstücke Bremens gilt, ist Perschau auf dem besten Wege, die Schlacht gegen den Mittelstand zu verlieren. Nachdem sich die ansässigen Kaufleute gegen den geplanten Bau gewehrt hatten, hat sich jetzt auch CDU-Fraktionschef Ronald-Mike Neumeyer gegen einen Verbrauchermarkt am Wasser ausgesprochen. Immer mehr kritische Stimmen in der CDU melden sich gegen das Vorhaben zur Wort. Daß Perschau für den Supermarkt mit Wasserblick eine politische Mehrheit bekommt, wird immer unwahrscheinlicher. Doch solche Grabenkämpfe sollten auf dem Landesparteitag nicht ausgetragen werden. Stattdessen einigten sich die Delegierten darauf, daß Mittelstandsoffensive und Großprojekte vereinbar sein müssen: „Die CDU erwartet eine klare und zielgerichtete Mittelstandsoffensive des Senats zur Stärkung der kleinen und mittleren Unternehmen sowie des Handwerks. Die CDU fordert den Senat auf, bei den geplanten Großprojekten die öffentlichen Mittel auf das Notwendigste zu begrenzen“, lautete der Antrag, für den alle Delegierten ihre Hand hoben. Deutliche Seitenhiebe gab es an diesem Abend nur für den Koalitionspartner SPD. Bürgermeister Ulrich Nölle beweinte in seiner Bilanz wieder einmal das „schwere Erbe“, das die Sozialdemokraten der CDU hinterlassen hat. Das will er jetzt abbauen: 1997 will er den Schuldenberg Bremens um einen dreistelligen Millionenbetrag senken. Für 1998 will Nölle „mindestens 300 Millionen Mark“ abbauen.
kes
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