: Voll auf Cokes
■ Showtreppe abwärts: MTVs Zappelphilipp soll als Moderator beim Berliner Musikradio Kiss FM für Quote sorgen
Das erste selbsternannte „DeeJay“-Radio Deutschlands setzt auf dem durchformatierten Berliner Radiomarkt auf große Namen. Noch in dieser Woche geht MTVs most wanted man mit einer eigenen Radioshow auf Sendung: „Ab Freitag wird Ray Cokes pointensichere Stimme live on-air direkt aus dem Herzen Berlins zu hören sein“, läßt der Presse-DJ vernehmen, als gelte es, einen neuen alliierten Sender in der Hauptstadt zu installieren.
Dadurch wissen wir zwar nun endlich, wo sich das Herz Berlins befindet (nämlich im Wedding, Voltastr. 5, Haus 10, Treppe 7), allerdings wirft das überraschende Engagement des Engländers Fragen auf. Denn was ist los mit Ray Cokes, daß er sich jetzt schon bei einem kleinen Berliner Radiosender verdingen muß, und: Kann man Grimassen eigentlich hören? Schließlich resultiert Cokes Berühmtheit in erster Linie aus seiner atemberaubenden Gesichtsgymnastik, die er jahrelang vor den Handycams von MTV vollführte.
Cokes habe nach seinem turbulenten Weggang von MTV einfach Lust auf Radio gehabt und sich mehrere deutsche Sender angehört, sagt Kiss-FM-Geschäftsführer Andreas Clausen, der sich mit dem skurrilen Star-VJ endlich vom Hinterhofimage verabschieden will. Tatsächlich erinnern so manche Moderationen an den Medienworkshop einer Realschule. Für die dreistündige englischsprachige Sendung „Voll auf Cokes“ wurde das erfolgreiche Konzept der MTV-Sendung „Most wanted“ radiokompatibel gemacht: So gehören überraschende Anrufe bei HörerInnen und Prominenten genauso zum Programm wie regelmäßige Studiobesuche von Stargästen. Mit im Studio ist auch Naughty Nina, die schon bei MTV assistierte und die gemeinsam mit Cokes einmal pro Woche eingeflogen wird.
„Viele Leute sind müde, immer wieder dieselben abgenudelten Hits zu hören. Es gibt ein Bedürfnis nach außergewöhnlichen, neuen und frischen Klängen“, hofft Mitgeschäftsführer David Schürger auf eine Cokesche Initialzündung. Weniger außergewöhnlich dürfte indes das Bedürfnis seines Chefs nach höheren Einschaltquoten sein – gilt doch der Hamburger Medienunternehmer (OK- Radio) Frank Otto (der mit 50 Prozent an Kiss FM beteiligt ist) kaum als Liebhaber ambitionierter Minderheitenprogramme.
Daß die Zeiten ungestörter DJ- Experimente nun vorbei sein dürften, befürchten nur wenige MitarbeiterInnen: „Auch zum Underground gehört Professionalität. Cokes ist Promotion für den ganzen Sender und wird uns allen nützen“, glaubt zum Beispiel DJ Tomekk, dessen HipHop-Sendung „Boogie Down Berlin“ kurz nach „Voll auf Cokes“ laufen wird. „Da werden sicherlich ein paar dranbleiben, um bei mir reinzuhören.“
Zunächst ist Cokes Engagement bis Weihnachten begrenzt, danach will man weitersehen, ob sich sein Kult-Appeal auch auf den Marktanteil auswirkt. Außerdem spricht der Engländer zur Zeit mit mehreren Sendern über ein neues Fernsehformat. Gleichzeitig mit Cokes erstem Auftritt am 4. Oktober erhält Kiss FM ein neues Logo und eine flankierende Werbekampagne. Stadtweit soll der Grimassenschneider von den Plakaten grinsen. Kein ungefährlicher Anblick, so mitten im Verkehr. Oliver Gehrs
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