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Sechs Jahre Onanie im Äther

Heute abend spielen Ostberliner Radiopiraten erneut Hase und Igel mit den Peilwagen der Telekom. Seit sechs Jahren funkt eine Handvoll Radiofans dem Kommerzgedudel dazwischen und träumt von einem richtig funktionierenden Radio  ■ Von Gereon Asmuth

„Da sind wir aber immer noch“, tönt es leicht verrauscht aus den Transistoren. Mit altem sozialistischen Liedgut wird auch die heutige Sendung des Piratensenders Radio P eröffnet werden. Folgen werden Berichte über das für heute mittag angekündigte Attentat auf Bildungssenator Peter Radunski und die anschließende Selbstverbrennung des irregeleiteten Einzeltäters. „Ein Akt der Verzweiflung“, werden die Piraten kommentieren. Nur ein Häuflein Asche, wird es heißen, sei vom Attentäter übriggeblieben.

Ein kleines Häuflein unentwegter Radiofans versucht seit sechs Jahren mit ironischen Beiträgen in den Einheitsbrei der marktbeherrschenden Sender zwischenzufunken. Die Möglichkeiten des Offenen Kanals, der nur im Kabel sendet, reichen Voice, Harvey und Godot (alle Namen von der Redaktion geändert) nicht aus. Und das Sendemonopol der Telekom halten sie für eine Zumutung.

„Wir senden, was uns selbst längere Zeit beschäftigt und wo wir meinen, das rauslassen zu müssen“, beschreibt Voice die Themenauswahl. Aufhänger der heutigen Sendung wird die anstehende Exmatrikulation Tausender Studenten sein, die sich geweigert haben, die geforderten Studiengebühren zu bezahlen. „Klar, daß wir da auf Sendung gehen“, meint Voice.

Außerdem soll noch ein „merkwürdiger Versuch, die Arbeitslosen glücklich zu machen“ und ein längerer Beitrag der Ostberliner Literatenzeitung Sklaven in den Himmel über Berlin gefunkt werden. „Die Sklaven haben eine Promokassette über sich produziert. Wir haben die in deren Stammkneipe gefunden. Und es gefiel uns so gut, daß wir es jetzt in die Sendung aufgenommen haben“, erklärt Voice. Was die Sklaven-Macher davon halten, ist den Piraten egal. „Das ist so eine Art gegenseitiges Beklauen“, meint Harvey. Schließlich hätten die Sklaven auch schon mal ohne zu fragen einen Radio-P-Beitrag abgedruckt.

Das Schnittstudio, in dem die Radiopiraten ihre Sendungen produzieren, bekommen sie von „freundlichen Menschen“ zur Verfügung gestellt. Aufwendiger ist die Beschaffung der Sendetechnik, die es natürlich nicht offiziell zu kaufen gibt. „Zumindest haben wir noch keinen entsprechenden Laden gefunden“, meint Voice. „Aber wir hatten im Schulfach Werken einen ambitionierten Hobbyfunker als Lehrer“, schmunzelt Harvey. „Wenn man gut war, gab er Zusatzstunden.“ Es gebe zudem genügend Bauanleitungen für Sender, ergänzt Voice. Die meisten kämen aus England, aber auch Erfurter Radiopiraten hätten sich vor ein paar Jahren detailliert und schriftlich geäußert. So brauche man nur einen kundigen Techniker. Die notwendigen Einzelteile gäbe es dann bei jedem Bastlerbedarf.

Zwar erreichten die Amateurfunker mit ihren Eigenbauten schon Senderreichweiten über zehn Kilometer, dennoch sind sie auf die technische Mitarbeit ihrer Hörer angewiesen. „Ohne Antenne sind wir nicht zu empfangen“, weiß Harvey. Und auch dann nur in Mono und häufig verrauscht. Piratenradio und gute Sendequalität sind zwei Dinge, die nur schlecht zueinander passen wollen.

„Ungefähr wie eine Katze, die nachts auf den Dächern sitzt“, umschreibt Godot Aussehen und Größe der Sendeanlage. Mehr könne nicht gesagt werden. Außerdem sähe die Technik jedesmal anders aus, schon um es der Polizei bei ihrer Suche nicht ganz so einfach zu machen. „Wer Genaueres wissen will, muß in die Asservatenkammer der Ordnungshüter schauen“, meint Voice. Dort müßte schon eine ganze Sammlung von Sendern stehen.

Ihren letzten Sender verloren die Ätherpiraten am Abend des 1. Mai, nachdem sie sich eine Stunde lang über die Walpurgisnacht und die revolutionären Demos am Kollwitzplatz ausgelassen hatten. Über Vorwürfe aus Reihen der CDU, sie hätten mit der Sendung die Krawalle nach den Demos geleitet, können die Radiofreaks nur lachen. „Das war eine komplett vorproduzierte Sendung vom Band“, erzählt Voice. „Aktuelle Reaktionen sind da gar nicht möglich.“ So traf die Polizei, die Stunden nach dem Ende der Sendung in die Zionskirche in Mitte eindrang, um den Sender von der Kirchturmspitze zu pflücken, auch keinen der Piraten an.

„Früher hab ich noch nachts im Nieselregen auf den Dächern in der Nähe der Technik gelegen und bin im Zweifelsfall weggerannt“, berichtet Voice. Doch das Risiko, geschnappt zu werden, will heute keiner mehr eingehen. „Wir bleiben lieber unsichtbar“, meint Harvey. „Wenn die Peilwagen durch die Straßen schleichen, sitzen wir wie alle guten Radiofans zu Hause am Empfänger.“ Bis zu fünf Jahre Haft drohen bei nachgewiesener Ignoranz des Sendemonopols der Telekom. „Da nehmen wir lieber den Verlust des Senders in Kauf“, meint Voice. Die 2.000 Mark für jede Funkanlage kommen durch Benefizauftritte von Musikern und anderen Künstlern zusammen. Trotz jahrelanger „Hase und Igel“- Spiele mit den Peilwagen von Polizei und Post wollen Harvey, Voice und Godot von Piratenromantik nichts wissen. Denn viel lieber würden sie „ein Radio machen, das richtig funktioniert“. Voice schwärmt von freien Radiostationen in Freiburg und Zürich oder Lokalsendern in Südamerika, die sie besucht hat. Die würden richtig ernst genommen, als echtes Kommunikationsmedium gesehen. „In Berlin kann man mit Piratenradio nichts erreichen“, zeigt sich die Radiotin realistisch. „Außer vielleicht, daß mal so ein Blatt wie die taz kommt, um die Seiten vollzuschreiben.“ Die Versuche des Landesverbandes freier Radios, eine Frequenz zu bekommen, scheiterten schon am Antragsformular der Landesmedienanstalt. „Die wollten ein Wirtschaftskonzept sehen und wissen, woher die Werbeeinnahmen kommen sollen“, berichtet Harvey. Für ein nichtkommerzielles Radio sei in den bestehenden Strukturen kein Platz vorgesehen.

Den Radiopiraten wird daher auch weiterhin das Feedback fehlen. „Du klebst Plakate, damit die Leute wenigstens wissen, wann die Sendung läuft“, meint Godot. „Aber du kannst dich dann nicht wie eine Band auf die Bühne stellen und dich beklatschen lassen.“ Und selbst Freunde sind von dem unzeitgemäß wortlastigen Programm nur schwer zu begeistern. „Die Leute sind verwöhnt von den seichten Dudelsendern“, ärgert sich Voice. Auch von den Talksendungen à la Kuttner halten sie nicht viel. „Das ist kompletter Kommunikationsersatz“, ärgert sich Godot. Da habe man es mit den eigenen „Kommunikationsangeboten“ schwer. So ist es auch kein Wunder, daß nach „sechs Jahren Onanie im Äther“, wie Voice ihre Radioarbeit resigniert bezeichnet, längst nicht mehr so viele Leute mitziehen wie am Anfang. Dennoch will der verbliebene Rest nicht auf ein anderes Medium umsteigen. „Weil es meinem Leben einen Sinn gibt“, scherzt Harvey und ergänzt nur wenig ernster: „Radio ist viel umweltfreundlicher als der Druck einer Zeitung.“ „Ohne die Form interessiert mich auch der Inhalt nicht mehr“, meint Voice. „Denn Piratenradio an sich ist eine Botschaft.“ Am Sendemonopol der Telekom, das ihnen die Legalität verwehrt, haben sie sich festgebissen.

Radio P ist heute abend ab 19 Uhr auf der UKW-Frequenz 95 MHz zu empfangen. Die Sendung dauert 90 Minuten oder bis zum Eintreffen der Peilwagen.

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