: Bekommt Hogefeld lebenslänglich?
Ihre VerteidigerInnen werfen den Bundesanwälten „Verfolgungsmentalität“ vor. Eine strafrechtlich relevante Tatbeteiligung sei in keinem einzigen Fall bewiesen ■ Aus Frankfurt/Main Klaus-Peter Klingelschmitt
In dieser Woche geht der Prozeß am Oberlandesgericht in Frankfurt/Main gegen Birgit Hogefeld in seine Endphase. Die Bundesanwaltschaft ist in allen Anklagepunkten von der Schuld Hogefelds überzeugt. Die drei VerteidigerInnen dagegen sind der Auffassung, daß während der Hauptverhandlung in keinem einzigen Fall der schlüssige Beweis dafür erbracht wurde, daß ihre Mandantin tatsächlich die ihr zur Last gelegten Taten begangen hat oder an ihnen beteiligt war.
Dennoch: Die Bundesanwaltschaft hat wegen sechsfachem Mord oder Mordversuch sechsmal die Verhängung einer lebenslänglich Freiheitsstrafe beantragt, verbunden mit dem Hinweis auf die „besondere Schwere der Schuld“ der Angeklagten. Sollte die Kammer diesem Antrag der Bundesanwaltschaft entsprechen, wird Birgit Hogefeld für immer hinter Gefängnismauern verschwinden. Rechtsanwalt Berthold Fresenius sieht darin den Ausdruck einer „juristisch nicht mehr nachvollziehbaren Verfolgungsmentalität“ der Bundesanwälte.
Der Prozeß geht in dieser Woche in seine Endphase, auch wenn die Verteidigung am vergangenen Mittwoch versuchte, mit neuen Beweisanträgen das „Konstrukt“ der Bundesanwälte noch einmal zu erschüttern. Doch diese neuen Beweisanträge, so befürchtet Rechtsanwältin Ursula Seifert, würden wohl von der Kammer „rasch abgebügelt“.
Fest steht allerdings: Ein Tatgeständnis der Angeklagten liegt nicht vor. Seit Prozeßbeginn im November 1994 verweigert Birgit Hogefeld jede Stellungnahme zu den Tatvorwürfen der Bundesanwaltschaft. Geäußert hat sie sich lediglich zum 1985 von der RAF begangenen Mord an dem GI Edward Piemental durch einen Genickschuß. Mord, so erklärte Birgit Hogefeld vor Jahresfrist, sei „mit revolutionärer Moral nicht vereinbar“ gewesen.
Indizien für ihre Tatbeteiligung in allen Komplexen, die eine Verurteilung zu einer zusammengefaßten lebenslangen Freiheitsstrafe rechtfertigen könnten, habe die Bundesanwaltschaft im Prozeßverlauf auch nicht beibringen können, sagt Seifert. Noch nicht einmal der Ankauf des Pkw für den Bombenanschlag auf die Airbase in Frankfurt am Main, der zwei Menschen das Leben kostete und andere verstümmelte, habe Hogefeld unzweifelhaft nachgewiesen werden können, sagt Rechtsanwältin Ursula Seifert. Und die Hogefeld belastenden Zeugenaussagen? Eine kleine, schmale Frau mit schwarzen Haaren, so die Zeugen 1985, habe sich im „Western Saloon“ an den Soldaten Piemental herangemacht und anschließend mit ihm das Lokal verlassen.
Diesen Zeugen, so Seifert, sei später von der Bundesanwaltschaft zur Identifikation der unbekannten Person ein Video vorgeführt worden: mit drei blonden Frauen und einer dicken, schwarzhaarigen Frau – und mit einer kleinen, schmalen Frau mit schwarzen Haaren: Birgit Hogefeld. Da sei dann die „Identifikation“ für die Zeugen kein Problem mehr gewesen, sagt Ursula Seifert sarkastisch.
Diese Vorgehensweise der Bundesanwaltschaft wurde selbst von einem renommierten Gerichtsgutachter als „Farce“ bezeichnet. Hogefeld entlastende Zeugen seien vom Gericht erst gar nicht zur Verhandlung geladen worden, moniert Seifert. Etwa die Frau, die bei ihrer Vernehmung durch die Bundesanwaltschaft aussagte, daß die Person, die ihren Wagen gekauft habe, mit dem die RAF später einen Supermarkt überfallen haben soll, gelbe Raucherzähne und mehrere Zahnlücken gehabt habe.
Hogefeld hat nie geraucht. Und sie hat auch keine Zahnlücken. Die nachgeschobene Behauptung der Bundesanwaltschaft: Hogefeld könnte sich die Zähne gelb gefärbt und mit schwarzer Farbe eine Zahnlücke aufgemalt haben.
Daß Hogefeld auch dafür lebenslang büßen soll, daß in Bad Kleinen bei ihrer Festnahme und der von Wolfgang Grams ein Beamter der GSG 9 erschossen wurde, halten ihre Anwälte für eine „besonders perfide“ Konstruktion. Rechtsanwalt Thomas Kieseritzky: „Wenn jemand in Bad Kleinen nicht geschossen hat, dann Birgit Hogefeld.“
Und fünfzehn Jahre für eine eventuelle, „nicht bewiesene“ Beteiligung am Bombenanschlag auf die Justizvollzugsanstalt Weiterstadt bei einem Strafrahmen von einem bis zu fünfzehn Jahren für die Herbeiführung einer Sprengstoffexplosion?
Die seien – abstrahiert von der dünnen Beweislage – juristisch gesehen auch nur dann zu rechtfertigen, wenn sich die Tat durch „eine erbarmungslose Brutalität und durch eine qualvolle Behandlung der Opfer“ als besonders menschenverachtend bewerten lasse, sagte Rechtsanwalt Berthold Fresenius am vergangenen Mittwoch vor Gericht.
Bei der Sprengung der neuen Haftanstalt in Weiterstadt habe die RAF aber explizit dafür gesorgt, daß Menschenleben durch die Explosion nicht gefährdet wurden; eine Tatsache, die vor Gericht von Zeugen bestätigt wurde. Fresenius zur Bundesanwaltschaft: „Sie kompensieren ihre in allen Punkten wacklige Anklage mit Höchststrafen.“
Die Anwälte forderten folgerichtig Freisprüche in fast allen Anklagepunkten für ihre Mandantin. Auch die erwiesene Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung sei durch die lange U-Haft von Birgit Hogefeld längst abgebüßt. Fresenius: „Eine strafrechtlich relevante Tatbeteiligung ist in keinem Fall erwiesen. Und deshalb muß eine Verurteilung ausscheiden.“
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