Händeschütteln allein wird nicht mehr ausreichen, wenn Jassir Arafat und Benjamin Netanjahu in Washington zum Krisengespräch zusammentreffen. Im arabischen Teil Jerusalems brodelt es, die dort lebenden Palästinenser sind frustriert über den

Händeschütteln allein wird nicht mehr ausreichen, wenn Jassir Arafat und Benjamin Netanjahu in Washington zum Krisengespräch zusammentreffen. Im arabischen Teil Jerusalems brodelt es, die dort lebenden Palästinenser sind frustriert über den festgefahrenen Friedensprozeß. Sie wollen endlich Ergebnisse sehen.

„Alle reden vom Tunnel“

Eigentlich sieht alles ziemlich unscheinbar aus: ein geöffneter Eisenverschlag in der Via Dolorosa im arabischen Teil der Jerusalemer Altstadt, daneben Souvenirläden mit Holzkreuzen und Jesusfigürchen, ein paar Touristen. Wären da nicht zwei Dutzend israelischer Grenzpolizisten, bewaffnet mit Schnellfeuergewehren und überdimensionalen Schlagstöcken. Sie patrouillieren vor dem unscheinbaren Eisenverschlag, dem Eingang zu dem umstrittenen Tunnel unter der Al- Aqsa-Moschee, dessen Eröffnung letzte Woche zu Auseinandersetzungen zwischen Palästinensern und der israelischen Armee führte, bei denen fast 70 Menschen getötet wurden.

Palästinensische Kommentatoren nennen die Öffnung des Tunnels die „Hebronisierung des arabischen Teils Jerusalems“. Die Schaffung von Tatsachen, die dann durch eine starke Militärpräsenz geschützt werden müssen. Ähnlich wie die Häuser der 400 Siedler in Hebron, die mit einem Armeeaufgebot vor dem Ärger der 120.000 palästinensischen Nachbarn in der Stadt geschützt werden müssen. So sind es in den letzten Tagen seit der Tunneleröffnung nicht überwiegend Touristen, sondern Polizeipatrouillien, die durch die Via Dolorosa ziehen.

„Der Tunnel wurde geöffnet, er ist immer noch geöffnet, und er wird für immer geöffnet bleiben“, ließ Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu am Wochenende stur verlauten, trotz des massiven internationalen Drucks und der blutigen Proteste. „Dieser Tunnel hat eine großartige Zukunft vor sich, und es gibt überhaupt keinen Grund, ihn zu schließen“, sagte auch Bürgermeister Ehud Olmert. „Wenn wir unseren Interessen gegenüber loyal bleiben, wird es am Ende eine Lösung geben“, gab er seine Strategie zum Besten.

Auf der anderen Seite des Tunneleingangs, direkt neben der jüdischen Klagemauer, demonstriert unterdessen eine Handvoll der extremistischen „Getreuen des Tempelberges“ für ihr Ziel, an Stelle der Al-Aqsa-Moschee einen jüdischen Tempel zu errichten. Der Durchgang durch den Tunnel wird ihnen von der Polizei sicherheitshalber verwehrt. Statt dessen ziehen sie mit ihrem Slogan „Die israelische Nation lebt“ durch die arabische Altstadt. „Annulliert die verräterischen Oslo-Verträge“, heißt es auf einem ihrer Plakate.

Auf der anderen Seite des Tunnels schüttelt der Besitzer eines religiösen Souvenirladens den Kopf. „Sie müssen den Tunnel einfach wieder zumachen, sonst kommen wir hier nie wieder zur Ruhe.“ Sein Nachbar winkt ab: „Alle reden vom Tunnel, der Tunnel ist nur eines von einer Million unserer Probleme. Wir müssen in Verhandlungen die Dinge grundsätzlicher angehen.“ Die meisten Palästinenser geben ihm Recht, daß der Tunnel lediglich ein Symbol ist. „Der Tunnel war nur der Auslöser der Proteste, ein Ergebnis von aufgestauter Frustration und Wut aufgrund des festgefahrenen Friedensprozesses“, sagt Ziad Abu Ziad, einer der Jerusalemer Vertreter im palästinensischen Legislativrat.

Marwan Baghuti, Generalsekretär von Arafats Fatah-Organisation im Westjordanland, sieht das ähnlich. „Es reicht nicht mehr, daß sich Arafat mit Netanjahu trifft und als Ergebnis vielleicht der Tunnel wieder geschlossen wird. Wir brauchen einen Zeitplan für den israelischen Teilrückzug aus Hebron und für die anderen ausstehenden bereits vereinbarten Fragen.“

Neben dem Teilrückzug aus Hebron gilt es vor der abschließenden Verhandlungsrunde zwischen Israelis und Palästinensern noch andere Punkte umzusetzen, die bereits vereinbart wurden: die Freilassung von palästinensischen Gefangenen, den Bau von Transitstraßen zwischen Westjordanland und dem Gaza-Streifen und den Beginn von Gesprächen über einen israelischen Rückzug aus weiteren Teilen des Westjordanlandes. Alles Fragen, über die Regierung Netanjahu bisher noch nicht einmal spricht.

Kein Wunder also, daß Netanjahu in den letzten Tagen von seinem Vorgänger Schimon Peres gewarnt wurde, nicht mit leeren Koffern zu dem in Washington angesagten Treffen zwischen ihm und Arafat zu reisen. Für die arabische Seite geht es jetzt darum, in Washington eine genaue Tagesordnung durchzusetzen, die den noch offenen Fragen gerecht wird. Händeschütteln allein wird diesmal nicht mehr ausreichen.

Unterdessen rufen Jerusalemer Mitglieder des palästinensischen Legislativrats wie Hattem Abdel Khader dazu auf, die Ruhe zu bewahren. In Zeitungsannoncen appellieren sie an die Schüler, wieder zur Schule zu gehen, und fordern die Ladenbesitzer auf, wieder normale Geschäftszeiten einzuhalten. Daß die extremistischen „Getreuen des Tempelberges“ unbescholten durch die arabische Altstadt ziehen konnten, ist ein weiteres Zeichen für die politische Anweisung der palästinensischen Führung, bis zu dem Gipfeltreffen in Washington den Deckel auf dem brodelnden Kessel Jerusalem zu halten. Karim El-Gawhary, Jerusalem