piwik no script img

Renaissance in Afrika

■ Kürzlich zu Gast in Berlin: Schriftsteller und Nobelpreisträger Wole Soyinka aus Nigeria, der seit letztem Jahr im Exil lebt

Neben Nelson Mandela ist der Schriftsteller und Nobelpreisträger Wole Soyinka die wohl bekannteste Symbolfigur für den Freiheitskampf Afrikas. Vor ein paar Tagen war Soyinka auf Kurzbesuch in Berlin. Anlaß war das Gastspiel seines Theaterstücks „The Beatification of Area Boy“ vom West Yorkshire Playhouse Leeds, wo es vergangenen Herbst uraufgeführt wurde.

Auf dem Platz vor einem luxuriösen Einkaufszentrum in Lagos treffen sie alle aufeinander, die irgendwie wichtig sind im sozialen Gefüge der nigerianischen Millionenstadt: Slumbewohner und Millionäre, kleine Geschäftemacher und die Profiteure des Ölbooms, eine Ministertochter und eine Imbißbudenbesitzerin, Militärs, Polizisten und politische Gefangene.

Dreh- und Angelpunkt des Geschehens ist der Wachmann Sanda, der gleichzeitig ein „area boy“, als Kopf und Mitglied einer „streetgang“ ist. Sanda, eine Mischung aus Mackie Messer, Schweijk und Robin Hood. Er ist der Vermittler zwischen der Welt der Reichen und der Armen. Er garantiert den einen, daß sie ungestört einkaufen können, und den anderen, daß sie ihren Teil vom Kuchen abbekommen. Soyinka malt hier das Bild einer aus den Fugen geratenen Gesellschaft, deren Balance nur noch auf der Schlitzohrigkeit eines kleinen Kriminellen beruht. Klar, daß so etwas nicht lange gutgehen kann. Als die Militärs ein Slumviertel plattmachen, ist die Balance dahin. Ausgerechnet von Misey, der Tochter eines Ministers, wird Sanda an seine revolutionären Ideale erinnert. Und wie es das Happy-End so will, wollen beide in Zukunft nur noch für die Schwachen und Unterdrückten kämpfen.

Am Tag vor der Aufführung hatte Wole Woyinka auf einer Pressekonferenz im Podewil, die zufällig auf den 36. Unabhängigkeitstag Nigerias fiel, von der ungeheuren Aufbruchstimmung nach der Unabhängigkeit von Großbritannien nicht nur unter den Intellektuellen des jungen afrikanischen Staates gesprochen. „We thougt, we were the Renaissance people oft the African Continent.“ In dieser Zeit schreibt Soyinka ein Stück zur Unabhängigkeit, „The Dance of the Forrests“. Er gründet sein eigenes Theater, die „1960s masks“, das einer der wichtigsten Beiträge für ein eigenständiges nigerianisches Theater wurde. Doch mit dem Biafra-Krieg sind die Träume vom Renaissance-Volk Afrikas ausgeträumt. Soyinka selbst verbringt wegen seines Kampfes gegen diesen Krieg Jahre in Einzelhaft. Seit 1967 ist das Militär die entscheidende Macht im Lande. Vom ungeheuren Reichtum des Landes an Öl und Bodenschätzen profitiert nun eine korrupte Minderheit, Gegner des Regimes werden gefoltert, ermordet. Bekanntestes Opfer ist Soyinkas Freund und Schriftstellerkollege Ken Saro Wiwa, der vor wenigen Monaten hingerichtet wurde, weil er gegen die Umweltzerstörung seines Landes durch die Ölkonzerne anschrieb.

Angesichts der bedrückenden Realität ist „The Beatification of Area Boy“ von entwaffnender Harmlosigkeit. Die Militärs sind lächerliche Karikaturen, hirnlose Brutalos, die der listige Sanda mit links in die Tasche steckt. Davon träumen die Schwachen am liebsten: daß die Starken so dämlich sind. Es gibt eine Szene, in der Soyinkas Begriff vom Theater besonders deutlich wird. Mama Put, die Besitzerin eines Imbißstandes, zeigt ihrer Tochter das Messer, mit dem Soldaten einst ihren Bruder töteten: „In der Schule lernst du die Geschichte. Doch ich zeige dir hier deine eigene Geschichte.“ Und das macht auch Wole Soyinka. Er zeigt der nigerianischen Gesellschaft ihr Spiegelbild und gibt ihr damit ihr Gesicht zurück, ihre Geschichte.

Soyinkas Kampf galt nicht nur den Militärdiktatoren im eigenen Land. Immer hat der Professor für englische Literatur auch gegen die jahrhundertealte Diskriminierung der afrikanischen Kultur als unterentwickelt und unzivilisiert gekämpft. Hat versucht, die über 2.000jährige vorkoloniale Geschichte Afrikas in das Gedächtnis der Welt zurückzubringen. In seiner berühmten Nobelpreisrede 1986 griff er die westliche Religion und Philosophie scharf an, welche „eigene und fremde Kulturen in Schutt und Asche legten, die überlieferten sozialen Bande zerrissen, die Glaubensvorstellungen ganzer Völker in den Schmutz zerrten“.

Sein Wohnort, sagt Soyinka, der sich von Nigerias Diktatur bedroht fühlt und seit 1995 im Exil lebt, sei das Flugzeug. Wir wissen es besser: Es ist das Theater. Esther Slevogt

Bis 5.10., Podewil, 20 Uhr

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen