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Charakter statt Knackarsch

■ Wenn Mädchen Fußballfans sind, zählt weder die Figur noch die Spielertaktik

Ina steht mit grün-weißem T-Shirt am Parkstreifen vor der Werder-Geschäftsstelle, schüttelt ihr blondes lockiges Haar und quasselt mit zwei Freundinnen. Es ist 11 Uhr: Trainingsende für die Werder-Spieler. „Scheißeee“ schreit Ina, „nicht aufgepaßt“, und sprintet los. Der Fotoapparat wackelt, ihre Haare flattern. „Wo ist der Stift. Gib schnell die Fotos her“, ruft sie. Das Gesicht läuft rot an: In letzter Minute erreicht sie den schwarzen Mercedes. Jetzt muß alles ganz schnell gehen: Ein Mädchen links, ein Mädchen rechts. Schnipp, schnapp. Ina drückt aufs Fotoknöpfchen und der Fußballstar in beiger Nappa-Lederjacke ein Auge zu.

„Da immer so hinterherzusprinten. Das bringts irgendwie nicht“, findet Britt Bendgens. Die 17jährige hat sich ebenfalls mit vier Freundinnen vor der Geschäftsstelle versammelt. „Das war Thomas Wolter“, sagt sie und grinst über beide Ohren. Wolter, das ist ihr Liebling, ihr Favorit und Star. Blonde Haare, schlank und groß. „Liebling, das paßt eigentlich“, sagt die Gymnasiastin, die zu der Fanclique „All for six“ gehört: Sechs Mädchen stehen hier für sechs Favoriten. Vor drei Jahren hat Britt auch „ohne Ende Fotos geknipst“ und „Wolter so richtig angehimmelt“. „Aber das ist jetzt anders“, erzählt sie. „All for six“ gehen zwar immer noch „so oft wie möglich“ zum Training – „aber nur, um zu sehen, ob es den Jungs gut geht. Und ob es was Neues gibt“, sagt Jana, die für Abwehrspieler Dietmar Beiersdorfer schwärmt. Freundin Britt zieht eine rote Mappe aus der Tasche. Ein Auto fährt vorbei. Ein kurzer Blick zur Straße – doch Fehlalarm: Es sitzt kein Werder-Spieler am Steuer. Zehn weiße Seiten reicht Britt in die Runde: Das ist die Fan-Zeitung, die „All for six“ jeden Monat für „ihre Spieler“ auf die Beine stellt.

„All for six lebt seinen Fan-Kult so aus, aber es gibt noch viele andere Mädchen-Cliquen in Bremen“, erklärt die Studentin Anja Garetzky. Rund 20 Prozent weibliche Fußballfans hat sie im Weserstadion ausgemacht, doch das Bremer „Fan-Projekt“ sei ausschließlich für Jungen da. Deshalb hob sie Anfang August mit zwei weiteren Studentinnen ein Modellprojekt für Mädchen aus der Taufe, gefördert von der Stadt Bremen und der „Stiftung Jugendmark“. „Mädchen sind nicht viel anders als Jungs. Denn auch jugendliche Männer lassen sich gerne mal neben ihrem Star fotografieren. Aber bei Mädchen kommt eben noch der Beziehungswunsch dazu“, erklärt sie. Britt und Jana stecken ihre Köpfe zusammen. Ein Stapel Fotos macht die Runde: Britt steht neben Liebling Wolter und grinst in die Kamera, Jana macht es sich neben Beiersdorfer bequem und Bianca posiert gemeinsam mit Liebling Andi Herzog (“Bitte mit i, sonst paßt das nicht“) für das Fan-Album.

Marco Bode, Favorit Nr. 4 (Nr. 5 und 6, Heiko Scholz und Hany Ramzy, stecken noch unter der Dusche) fährt in grün-weißem Trainings-Trikot an den Mädels vorbei. Sie beachten ihn kaum. Doch als er auf dem Rückweg an ihnen vorbeistapft, fragt Bianca: „Fahrt ihr am Freitag mit Zug oder Bus? Bus wäre uns eigentlich lieber.“ „Dann fahren wir eben Zug“, kontert Marco und verschwindet. Unverschämt, witzeln die Mädchen, kauen seine Antwort dreimal durch und stürzen sich wieder auf ihre Fotos. “Das hier sieht auch süß aus“.

Viele Mädchen träumen von einer Beziehung mit ihrem Star, weiß Projektmitarbeiterin Garetzky, „doch wenn es zu nah wird, gehen sie sofort auf Distanz.“ „Mal sagen wir hallo, mal auch nicht“, erklärt Britt. Die Mädchen nehmen jedes Heimspiel mit, fahren auch mal nach Hamburg, wenn das Taschengeld noch reicht. „Warum wir das alles tun, das ist schwer zu erklären“, stottert Jana. Ihr Favorit Beiersdorfer ist leider nach Italien gewechselt, „der war aber der absolut Sympathischste von allen.“ Toller Charakter, toller Umgang mit Fans: „Der ist nicht so arrogant wie Christian Brand“. Auch Bianca findet toll an Andi Herzog, „daß er sich auch nach seiner Zeit bei Bayern treu geblieben ist.“ Aber ein bißchen „schnittig“ müssen die Jungs schon sein, erklären alle drei unisono: „Obwohl die Jungs, die neben uns im Stadion stehen, immer sagen: Ihr schaut nur auf die Ärsche und habt keine Ahnung, was auf dem Spielfeld überhaupt los ist.“

Ein „konsequentes Forechecking und schnelles Spiel nach vorne“, machten die Mädels in ihrem Fan-Zeitungsartikel beim letzten Werder-Spiel aus – in der Ostkurve hatte „All for six“ die Mannschaft kräftig angefeuert. „Aber im Stadion werden die Mädchen von den Männern oft nicht für voll genommen. Die müssen sich viele diskriminierende Sachen anhören“, weiß Projektmitarbeiterin Garetzky. „Hast Du nicht schon genug Autogramme gesammelt“, fragt ein älterer Mann die 17jährige Britt vor der Werder-Geschäftsstelle. „Blöde angelabert“ hätte der sie schon oft, erzählt Britt und ärgert sich. Doch als Oliver Reck grüßend im Auto vorbeifährt, ist der Ärger bald verflogen: Schließlich sollte der noch etwas für sie in die Fan-Zeitung schreiben. „Die haben uns endlich akzeptiert“, folgert Bianca. Früher hätten die Spieler bloß gefragt: Wollt ihr nicht lieber schwimmen gehen? Aber schließlich sind sie Fans, „die durch Jubeln auch mal zu einem Tor mehr verhelfen“, sagt Jana. „Total klasse“, fand sie die Welle für alle Ostkurven-Fans beim Bayern-Spiel. „Das war endlich das, was wir uns immer gewünscht haben. Und das haben wir dem Bruno auch schon gesagt.“ Nicht alle Mädchen seien bereits so selbstbewußt, erzählt Anja Garetzky, die in den letzten zwei Monaten schon viele Mädchen befragt hat. Für sie bietet das Modellprojekt jetzt Gesprächskreise und gemeinsames Fußballspielen an.

Während Britt, Bianca und Jana über der Fan-Zeitung brüten, steht die blondgelockte Ina im grün-weißem Trikot immer noch am Straßenrand. Der Edding-Stift bleibt weiter griffbereit in der Hand. „Jetzt warten wir noch auf Bruno Labbadia“, erklärt sie. Der abgelichtete Thomas Wolter braust im schwarzen Mercedes davon. Ihre beiden Freundinnen stellen sich auf den leeren Parkplatz.

Infos über die Mädchengruppe gibt es in der Geschäftstelle vom „Fan-Projekt“, Auf dem Peterswerder 44. Tel. 499 27 80. kat

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