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Frankreich macht den „cavalier seul“

Gestern wollte PLO-Chef Arafat auf der Suche nach europäischen Unterstützern Frankreichs Präsidenten Chirac treffen. Eine gemeinsame europäische Nahostpolitik gibt es nicht  ■ Aus Paris Dorothea Hahn

„Scheitern in Washington — Erfolg in Paris.“ In diesem Tenor kommentierten die französischen Medien gestern die jüngsten Entwicklungen auf der internationalen Bühne. Mit Häme beschrieben sie das ergebnislose Treffen von Palästinenserführer Arafat mit dem israelischen Premierminister Netanjahu, das Paris gerne selbst ausgerichtet hätte und bei dem es letztlich nicht einmal Zaungast spielen durfte. Als sei das diplomatische Klima in Frankreich günstiger als bei der Supermacht jenseits des Atlantiks, weideten sich die Kommentatoren an dem Einvernehmen zwischen den bosnischen Präsidenten Izetbegović und seinem serbischen Kollegen Milošević, die in Paris beschlossen haben, diplomatische Beziehungen aufzunehmen.

Die transatlantische Konkurrenz, deren Wurzeln bis in die 50er Jahre reichen, hat Frankreich seit der Wahl eines neogaullistischen Präsidenten Jacques Chirac vor anderthalb Jahren erneut belebt. Wichtigster Gegenstand der Konkurrenz ist die arabische Welt, dicht gefolgt von dem afrikanischen Kontinent. In beiden Fällen beansprucht Chirac, getreu seinem großen Vorbild de Gaulle, eine Sonderrolle. Bei seiner ersten Nahostreise, die ihn Ostern dieses Jahres in den Libanon und nach Ägypten führte, wartete Chirac mit Stichworten wie „Mittelmeerpolitik“, und „Stabilitätszone“ auf, die seinen Gastgebern noch aus der Zeit des großen Vorgängers bekannt sind. De Gaulle allerdings hatte tatsächlich eine Arabien- und Nahostpolitik. Unter seiner Ägide wurde Algerien unabhängig, und er bezog während des 67er Krieges eindeutig Stellung gegen Israel und die USA. Sein politischer Enkel hingegen schafft es weder, die Blockaden zwischen Paris und Algier zu überwinden, noch ein Konzept in seine Nahostpolitik zu bringen.

Chirac war kaum aus der Nahostregion abgereist, da explodierten im April neuerlich israelische Bomben über dem Südlibanon. Paris ließ sich nicht beeindrucken und beanspruchte umgehend — und ohne Rücksprache mit den europäischen Partnern — eine Vermittlerrolle in dem Konflikt. Ganz wie die US-Konkurrenten versuchte es Paris nun auch mit einer Shuttle-Mission zwischen den Hauptstädten der Region. Tagelang war neben dem US-Außenminister Warren Christopher — aber unabhängig von ihm — auch der französische Außenminister Hervé de Charette zwischen Israel und Syrien unterwegs. Was das eigentliche französische Verdienst bei dem Waffenstillstand war, blieb unklar. Doch durfte de Charette am Ende zusammen mit Christopher als Pate der Verständigung auftreten. Die europäischen Partner hatten nachträglich ihren Vermittler akzeptiert.

Die nächste franko-amerikanische Divergenz ließ nicht lange auf sich warten. Die Kulisse dazu bot im Frühsommer der Antiterror- Gipfel in Sharm-el-Sheik, den vor allem Israel und die USA gewollt hatten. Unüberhörbar an die Adresse Washingtons gerichtet, betonte Chirac dort, daß der Terrorismus nicht allein mit Repression bekämpft werden könne. Schon Anfang September ergab sich wieder Gelegenheit zum Konflikt, als die USA den Irak mit Bombenangriffen „bestraften“. Paris kritisierte die Militäroperation deutlicher als irgendein anderes europäisches Land. Nicht nur gegenüber dem Irak, der einst einer von Frankreichs wichtigsten Haupthandelspartnern in der Region war, sondern auch gegenüber dem Iran verfolgt Paris einen anderen Kurs als Washington. Frankreich will Handel und den sogenannten kritischen Dialog statt des Boykotts. Als die USA in diesem Sommer auch noch Sanktionen gegen ausländische Firmen androhten, die Handel mit Libyen, dem Iran oder Kuba treiben, erklärte Chirac höchstpersönlich, das werde Frankreich sich nicht gefallen lassen.

In Europa steht der wiederbelebten franko-amerikanischen Konkurrenz nichts Einheitliches gegenüber. Zwar waren die EU- Länder im März in Turin zu einer langfristigen Regierungskonferenz (Maastricht II) zusammengetroffen, die auch eine gemeinsame europäische Außen- und Sicherheitspolitik zustande bringen soll. Doch stagnieren gerade diese Verhandlungen völlig. Diplomaten aus verschiedenen Teilnehmerdelegationen erklärten längst, daß es diese „GASP“ nicht geben werde. Eine gemeinsme Nahostpolitik auch nicht. Es ist kein Zufall, daß Arafat seit gestern abend zwar in Europa, aber keineswegs bei der Europäischen Union zu Gast und auf der Suche nach Unterstützung ist. Er besucht einzelne Hauptstädte, zunächst Paris.

Die Franzosen müssen sich damit abfinden, daß der von ihnen gewünschte Chef einer gemeinsamen europäischen Außenpolitik ein Projekt für die ferne Zukunft bleiben wird. Und die übrigen Europäer müpssen damit rechnen, daß Frankreich weiterhin den „cavalier seul“ spielt: Ganz allein vorpreschen und anschließend europäische Außenpolitik gemacht haben wollen.

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