: Die Frontfrauen
Ihr Schlachtfeld ist die Bühnenrampe. Großer Aufmarsch der Kabarettistinnen in Berlin. Ihre Waffen: Witze, Parodien, Satire und Musik ■ Von Waltraud Schwab
Witze von Männern über die Dummheit der Frauen sind so omnipräsent, daß es kaum auffällt, daß Frauen notgedrungen mitlachen. Eine andere Wahl gibt es nicht. Lacht die Frau mit, zeigt sie, daß sie sich nicht gemeint fühlt. Lacht sie nicht mit, wird ihr vorgeworfen, sie habe keinen Humor. Die Dummheit des weiblichen Geschlechts wird als Tatbestand gehandelt, der die Männer zum Schenkelklopfen animiert. Das sieht zwar blöd aus, aber da sie es nicht glauben, dreht sich das Rad der Geschichte munter weiter.
Gleichwohl, da knirscht auch Sand im Getriebe. Zu Kinderstube, Küche und Kirche ist das Kabarett gestoßen. Frauen initiieren die Kalauer jetzt selbst. Und weil das Private seit eh und je politisch ist und Lachen befreit, befinden sich Frauen schon wieder am Anfang einer Revolution. „Frau und Kabarett“ heißt das 1993 gegründete Netzwerk der Protagonistinnen, die sich auf den Kleinkunstbühnen Terrain zu erobern suchen. Denn es gibt viel mehr Frauen, die den ironischen Blick auf sich selbst und die Gesellschaft öffentlich machen wollen, als gemeinhin angenommen wird.
Kabarett ist eine relativ junge Erfindung, deren Geburtsstunde gern 1881 auf den Montmartre in Paris gelegt wird. In Deutschland hatten die Kabaretts eine erste eigenwillige Blütezeit in den zwanziger Jahren, und Frauen waren nicht nur als Sängerinnen, Darstellerinnen und Tänzerinnen dabei, sondern wie Rosa Valetti oder Trude Hesterberg auch als Theaterleiterinnen. Außer Claire Waldoff, Liesl Karstadt, Erika Mann und vielleicht Blandine Ebinger ist keine der damals engagierten und aktiven Künstlerinnen heute noch im kollektiven Gedächtnis verankert. Ganz im Gegensatz zu den Männern, die die Lieder und Texte geschrieben haben, darunter Kurt Tucholsky, Walter Mehring, Erich Kästner, Joachim Ringelnatz, Bert Brecht, um nur einige zu nennen.
Ähnlich vage ist die Erinnerung, wenn es um das Kabarett der Nachkriegszeit geht, das in Deutschland einen eigenen, ernsthaft politischen Sprechcharakter bekommen hat. Die Protagonisten – nicht selten im Verhältnis drei Männer : eine Frau – arbeiteten sich meist an einem Thema des aktuellen politischen Geschehens ab. Gelegentlich wurde das Ganze durch Songs und Sketche aufgelockert. Markennamen bis heute: Wolfgang Neuss, Dieter Hildebrandt, Horst Buchholz. Und die Frauen? Lore Lorentz, Ortrud Beginnen – wem sagen sie was?
Heute wird Cabaret und Kabarett wieder, ähnlich wie in den zwanziger Jahren, munter zusammengewürfelt. Und die Künstlerinnen des Netzwerks „Frau und Kabarett“ demonstrieren bei ihrer derzeit zum vierten Mal stattfindenden Frontfrauenrevue in Berlin, daß sie in allen Sparten der leichten Muse bewandert sind: Komik und Zauberei, Grotesken und exzentrische Lieder, bösartige Verwünschungen und messerscharf sezierende Gesellschaftsanalysen. Angesprochen allerdings auf die „Front“, blasen die beteiligten Protagonistinnen in der Regel unisono zum Rückzug.
Pazifistinnen sind sie allemal, Anfang und Ende ihres Schlachtfeldes ist die Bühnenrampe. Aber diese Kante gehört ihnen. Immer öfter. Ungefähr 100 Frauen haben sich dem Netzwerk angeschlossen, tauschen Tips, Unterstützung und Kritik aus. Ist Kabarett möglicherweise das einzige Terrain, auf dem sich Frauen von anderen Frauen etwas sagen lassen, ohne gleich an ihren Selbstzweifeln zu ersticken? Besteht noch Hoffnung?
Bei der diesjährigen Frontfrauenrevue betonen sparsamere Inszenierungen das Anliegen. Weniger ist mehr. Doch nicht die Mittel und nicht das Handwerk unterscheiden die Kabarettistinnen heute von ihren männlichen Kollegen, sondern der Blickwinkel auf die Themen. Das ewig Weibliche und die immer weiter rollende Rolle der Frau, die zu kleinen oder zu großen Brüste, das Zuviel- oder Zuwenig-Mann, die zu leichte Schulter und die zu schwere Vielfachbelastung sind dabei nach wie vor die Renner. Wobei man den Frontfrauen Unrecht tut, wenn man sie auf die sich dahinter verbergenden Klischees festlegen wollte, denn klar ist, daß das ganze Unternehmen in seinem vierten Jahr durch zunehmende Professionalität glänzt. Sie lachen extravaganter und selbtbewußter über die eigene Unzulänglichkeit, die immer die Unzulänglichkeit der anderen ist. Sie weiten die Themen vom Privaten auf das Politische aus: Das Duo Schiffer/Beckmann aus Köln verkauft Abtreibung als Marketingstrategie für Frischzellen und von daher aufs Bösartigste als mögliche Einnahmequelle für die vom IWF gegängelten Länder; Bridge Marklands Erfolgsrezept ist der Rollenwechsel vom Mann zur Frau; Hertha Schwätzig spielt die Ohnmacht der Männer als Macht der Frauen.
Nicht wenige der Kabarettistinnen haben ihre ausländischen Schwestern als Fokus ihres überspitzten Nachdenkens entdeckt. Sie hangeln sich an der Kante entlang, an der der Fall in den schieren Rassismus droht. Da nicht zu landen und doch mit dem ganzen Repertoire rassistischer Zuschreibungen zu arbeiten, verlangt gekonnt eingesetztes Handwerkszeug. Rosa K. Wirtz treibt es auf die Spitze. Am frauenspezifischen Accessoire – dem Kopftuch der türkischen Frau – spielt sie es durch. An alles, was dazu an Abfälligem zu sagen ist, traut sie sich heran, und sie reißt das Steuer erst in allerletzter Sekunde herum: „Das Kopftuch ist Erkennungszeichen. Denn stellen Sie sich mal vor, circa hunderttausend deutsche Frauen würden zwangsweise nach, sagen wir mal, Jordanien deportiert, und es würde die Gefahr bestehen, daß sie sich gegenseitig nicht erkennen – da würde auch ich Dirndl tragen.“
Lange Kabaretterfahrung schlägt sich bei Hilde Wackerhagen nieder. Wenn sie in ihrem Altweiberoutfit auf der Bühne sitzt und die deutsche Politik auseinandernimmt, widerlegt sie das offenbar nicht totzukriegende Klischee, daß der Geschlechterkampf auch die Grenzen für das Frauenkabarett markiert. Und das, obwohl sie eine alte 68erin ist und sich leidenschaftlich zur Frauenbewegung bekennt. Für letzteres zollt auch Barbara Kuster ihrer Westkollegin großen Respekt. Obschon sie es selbst nicht mit dem Feminismus hat, ist sie der kongeniale Counterpart von Hilde Wackerhagen. Barbara Kuster ist das Sprachrohr der ostdeutschen Befindlichkeit. Wenn sie, wie in ihrem neuen Programm „Bulletts over Berlin oder Bouletten über Berlin“, die brandenburgische Sozialministerin für Asoziale, Ausgestoßene und Frauen Regine Hildebrandt spielt, ist man ratlos, weil Lachen so gar nicht zur Realität passen will. Aber dann tut man's doch; denn sonst wäre frau ja Politiker geworden.
Einen bunten Querschnitt durch die neue Kabarettistinnen-Generation bietet im Oktober die UFA- Fabrik in Berlin.
Je drei Künstlerinnen an einem Abend spielen vom 9.–13. Ausschnitte aus ihrem Programm.
Hertha Schwätzig spielt vom 16.–20. die erste und einzige zaubernde Putzfrau.
Bridge Markland lädt vom 16.–20. zum Herrenabend mit Gästen.
Rosa K. Wirth zeigt vom 23.–27. ihre Schau mit eingelegten Kinderherzen.
Weitere Infos: Tel: 030/755030
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