■ Delikte gegen Leib und Leben sollen künftig härter, Taten gegen Eigentum und Vermögen schwächer bestraft werden - das sieht die neue Strafrechtsreform vor: Babys soll man nicht stehlen
Eine Reform der Strafgesetzgebung ist überfällig. In diesem Punkt herrscht zwischen Regierung und Opposition in Bonn seltene Einmütigkeit. Es ist immerhin schon 125 Jahre her, daß das deutsche Strafgesetzbuch in Kraft getreten ist: zu einer Zeit also, als der Kapitalismus in voller Blüte stand und den Gesetzgebern vor allem der Schutz des Eigentums am Herzen lag. Angriffe auf die körperliche Unversehrtheit wurden dagegen, wenn es nicht gleich zu Mord und Totschlag kam, eher als Privatsache betrachtet.
Mit den Folgen dieser Weltsicht müssen sich die Gerichte bis heute herumschlagen. Zwei Männer, die ein junges Mädchen zwei Tage lang gequält und vergewaltigt und darüber hinaus ihr Zelt gestohlen hatten, wurden für den schweren Raub des Zeltes mit fünf Jahren Haft bestraft. Die Vergewaltigungen und die sexuelle Nötigung brachten ihnen nur vier Jahre ein. Der Bundesgerichtshof bestätigte die Rechtmäßigkeit dieses Urteils.
Über Parteigrenzen hinweg hat sich das Rechtsempfinden der Gesellschaft geändert. Es gibt Straftatbestände, die heute von jedermann als absurd empfunden werden. So ist nach geltendem Recht zwar der versuchte Diebstahl eines Kinderwagens strafbar, nicht aber der des darin liegenden Babys. Grund: Menschenraub kann bislang nur dann bestraft werden, wenn er mit „List, Drohung oder Gewalt“ verübt wird. Das aber ist nicht der Fall, wenn die Karre samt Säugling einfach mitgenommen wird.
Eine Harmonisierung des Strafrahmens, wie sie auch die Opposition in Bonn seit Jahren fordert, ist das Ziel eines umfangreichen Gesetzentwurfes des Bundesjustizministeriums, der gegenwärtig in Bonn mit anderen Ministerien abgestimmt wird. Es sollen „Wertungswidersprüche und Ungleichgewichte zwischen den Strafen für Körperverletzungs-, Tötungs- und Sexualdelikte einerseits sowie für Eigentums-, Vermögens- und Urkundendelikte andererseits beseitigt“ werden. Dafür muß eine Vielzahl von Gesetzen geändert werden.
Kritik gegen Details aus den Reihen der CSU
Wie in Bonn häufig üblich, hat sich die Diskussion über den Entwurf schnell an einem einzelnen Punkt festgebissen. In diesem Fall erregt die von FDP-Justizminister Edzard Schmidt-Jortzig vorgesehene Absenkung der Mindeststrafe für schweren Raub von fünf auf zwei Jahre die Gemüter vor allem in den Reihen des Koalitionspartners CSU.
Der christsoziale Politiker Wolfgang Zeitlmann nennt dieses Detail des Entwurfs einen „rechtspolitischen Schildbürgerstreich“, und auch sein Parteifreund Norbert Geis hält dieses Vorhaben für ein „falsches Signal“. Die Kritik erweckt jedoch einen seltsamen Eindruck von Pflichtschuldigkeit.
Ein Blick auf die Gesamtheit des Entwurfs läßt die Debatte um die Mindeststrafe für schweren Raub ohnehin wie einen Streit um des Kaisers Bart erscheinen. Norbert Geis meint: „Die Kritik an verschiedenen Punkten des Entwurfs überdeckt vielleicht, daß er auch in großen Teilen den Vorstellungen der CDU/CSU entspricht. Insgesamt ist es eine Verschärfung des Strafrahmens. Das kommt unseren politischen Vorstellungen nahe.“
Tatsächlich läuft die Harmonisierung des Strafrahmens, wenn sich der Justizminister durchsetzen kann, im großen und ganzen auf eine Erhöhung von Strafandrohungen hinaus. Zwar ist vorgesehen, für eine ganze Reihe von Delikten die Strafrahmen zu senken, aber darunter sind eben auch so abgelegene Tatbestände wie Jagd- und Fischwilderei. Die Liste der Taten, die künftig härter als bisher bestraft werden sollen, liest sich weit eindrucksvoller: Versuchte Körperverletzung, bisher straflos, wird unter Strafe gestellt. Wer für gefährliche Körperverletzung verurteilt wird, kann nicht mehr darauf hoffen, mit einer Geldstrafe davonzukommen. Ihn erwartet eine Haftstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren. Die Mindeststrafe von Vergewaltigung mit Todesfolge soll von fünf auf zehn Jahre angehoben werden.
Angehoben werden soll auch die Mindeststrafe für Einbruchdiebstahl in Wohnungen — von bisher drei auf sechs Monate. Für die Länder kann das angesichts schon jetzt überfüllter Justizanstalten schwierig und teuer werden. Norbert Geis räumt in diesem Zusammenhang ein: „Wir haben's leicht. Wir im Bund können Gesetze machen, die Länder müssen sie durchführen.“
Die Harmonsierung wird schon seit 1993 gefordert
Die Opposition, die Bemühungen um eine Harmonisierung des Strafrahmens als einen Schritt in die richtige Richtung wertet, hat vor allem Kritik grundsätzlicher Natur am Entwurf des Justizministeriums geäußert. Die SPD-Rechtspolitikerin Herta Däubler-Gmelin erklärte gegenüber der taz: „Wir fordern die Harmonisierung des Strafrechts seit 1993. Ich habe keine Probleme, im Einzelfall auch mal einer Verschärfung des Strafmaßes zuzustimmen. Aber man muß auch überlegen: Wozu ist das Strafrecht eigentlich da? Zu den Überlegungen gehört auch, daß wir nachdenken müssen, ob die Art der Strafen ausreicht, die wir heute haben.“
Herta Däubler-Gmelin empfiehlt, vor allem im Bereich der Alltags- und Massenkriminalität — also etwa bei Delikten wie Ladendiebstahl oder Schwarzfahren — über neue Formen der Bestrafung nachzudenken. Möglich seien in diesem Zusammenhang ein Fahrverbot als Regelstrafe oder die Verpflichtung zu gemeinnütziger Arbeit. Ähnlich sieht das Volker Beck von den Grünen, der sich neben Geld- und Gefängnisstrafen auch Sanktionen wie eine Stärkung des Täter-Opfer-Ausgleichs, ebenfalls ein Fahrverbot, eine Vollstreckungsklausel für vier Jahre oder die Aussetzung von Geldstrafen zur Bewährung vorstellen kann: „Wenn wir ein solch weitreichendes Reformprojekt angehen, dann brauchten wir eine gesellschaftliche Debatte über den Sinn und Unsinn von Strafen. Was ist die rationale Begründung dafür, daß der Staat straft?“ Bettina Gaus, Bonn
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