: Spitzeldienste gegen die Antifa
■ In Prenzlauer Berg spionierte eine Schauspielschülerin im Auftrag eines Herrn Herzog die Antifa aus und bekam 500 Mark monatlich. Bereits vor einem Jahr war ein ähnlicher Anwerbeversuch geplatzt
Die Antifa-Gruppe in Prenzlauer Berg (AGIP) wurde mehrere Monate lang systematisch bespitzelt. Dies hat die Gruppe nun in einem Schreiben bekanntgegeben. Demnach habe die Schauspielschülerin K.S. von Oktober 1995 bis Juli 1996 in der Antifa-Ini mitgearbeitet. Ihre Spitzeldienste seien durch „einen Zufall“ aufgeflogen. Einige Zeit später habe sich S. gegenüber der Gruppe offenbart. Gegenüber der taz bestätigte K.S. die Darstellung der Antifa.
Demnach hat die Zwanzigjährige im Oktober 1995 eine Anzeige in der Zweiten Hand aufgegeben. Sie suchte einen Kneipenjob. Kurze Zeit später habe sich ein Mann mit dem Namen Reinhard Herzog gemeldet und sich als freischaffender Soziologe vorgestellt, der eine Studie über die „Gewaltbereitschaft in linken und rechten Gruppierungen“ durchführe. Bereits beim ersten Treffen habe Herzog K.S. aufgefordert, zur Antifa-Gruppe ins Baobab zu gehen. Gegenüber der Antifa hatte S. ihren „Einstieg“ in Prenzlauer Berg damit begründet, daß sie wegen ihrer Ausbildung als Schauspielerin erst vor kurzem von Spandau nach Mitte gezogen sei.
Von Oktober 1995 bis Juli 1996, hatte S. eingeräumt, habe sie sich einmal im Monat mit Herzog im Selbstbedienungsrestaurant „Dinea“ am Alexanderplatz getroffen. Dabei sei ihr jedesmal ein Betrag von 500 Mark in bar ausgezahlt worden. Nach Angaben der Antifa habe S. regelmäßig Gedächtnisprotokolle der Treffen der Initiative im Baobab angefertigt. Der Aufforderung ihres Auftraggebers, auch zu „Bündnis- und Vorbereitungstreffen“ zu gehen, sei sie aber nicht nachgekommen.
Die Antifa-Gruppe stellt sich nun selbstkritisch die Frage, warum man sich nicht mit der nötigen Sorgfalt um die Neueinsteigerin gekümmert habe. So hätte man etwa leicht herausbekommen können, daß S. nicht – wie von ihr behauptet – bei der Spandauer Antifa mitgearbeitet hatte.
Die Beschattung der Antifa in Prenzlauer Berg war nicht der erste Versuch, über Zeitungsinserate Personen in finanziellen Nöten mit Spitzeldiensten zu beauftragen. Ein halbes Jahr vor der Anwerbung von K.S. hatte ein „Schweizer Buchautor“ in einem Inserat in Zitty „interessante junge Leute mit Berliner/Brandenburger Milieukenntnissen für entsprechende Recherchen“ gesucht. Einer Studentin, die sich daraufhin gemeldet hatte, wurde von einem „Herrn Unger“ mitgeteilt, sie solle in Kneipen „Milieustudien“ für ein „zeitgenössisches Werk“ erstellen. Einen Monat später meldete sich eine Frau bei der Studentin und sagte ihr, Geld spiele keine Rolle. Bei einem Treffen im Café Ostrowski in der Karl-Liebknecht- Straße hieß es schließlich, die Wirtschaft wolle Sozialstudien über Jugendmilieus und Gewalt. Von einem Buchprojekt, wie noch am Anfang, war keine Rede mehr. Die Studentin ließ ein weiteres Treffen schließlich auffliegen.
Obwohl bislang keiner weiß, um wen es sich bei den Anwerbern handelt, weisen die Berliner Vorgänge doch verblüffende Parallelen zu ähnlichen Werbepraktiken in Halle/Saale auf. Dort war 1994 unter anderem auf Plakaten an Litfaßsäulen für „Recherchen in der Konflikt- und Ursachenforschung“ geworben worden. Unter der angegebenen Telefonnummer hatte sich ein „Herr Berger“ gemeldet, der schnell konkreter wurde. Zielpersonen, so Berger, seien „führende Köpfe der linken Szene in Halle“. taz-Recherchen hatten damals ergeben, daß sich hinter Herrn Berger die Abteilung „IS2“ des Bonner Innenministeriums verbarg. Diese Abteilung ist mit der Dienstaufsicht für das Kölner Bundesamt für Verfassungsschutz beschäftigt. Uwe Rada
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