: „Alles, was ich je konstruiert habe, steht“
■ Antonina Piroschkowa war seit den dreißiger Jahren als Ingenieurin am Bau der Moskauer Metro beteiligt. Sie berichtet über ihren Arbeitsalltag in einer Männerdomäne
„1934 war das Moskauer Metroprojekt schon ins Leben gerufen. Dort arbeitete der Mann einer Kollegin, und ich bat sie, daß er sich für meine Einstellung verwenden möge. Beim Metroprojekt versuchten sie, mich mit allen möglichen Gründen von diesem Vorhaben abzubringen: daß sie nachts arbeiteten, daß das für Frauen alles nicht so einfach sei. Ich antwortete, daß ich mich vor Arbeit nicht fürchte. Sie nahmen mich in die Konstruktionsabteilung auf.
(...) Bei der Einstellung (hatten sie mich) lediglich gefragt, ob ich ein Gewölbe berechnen könne, was ja bei einem Metrobau ständig notwendig ist. Sie gingen davon aus, daß ich mich mit allem dort erst einmal bekannt machen wollte, und beauftragten mich für die ersten zwei Wochen mit der Konstruktion eines unterirdischen Vestibüls für die Station am Dscherschinski-Platz – an sich keine allzu schwere Aufgabe. Gleichzeitig gab es eine Betriebsversammlung, auf der es hieß, wir könnten unsere Arbeit nur noch bewältigen, wenn jeder seinen Plan um vierhundert Prozent übererfüllte. Sie waren dort alle an solche Sachen gewöhnt, und niemand nahm das mehr ernst – außer mir. Zudem hatte ich so lange keine richtige Arbeit mehr geleistet, daß ich bereit war, Berge zu versetzen. Ich machte mich also daran und hatte die nötigen Zeichnungen in drei Tagen fertig. (...)
Vor dem Krieg waren außer mir die einzigen Frauen im Metroprojekt Zeichnerinnen und Kopiererinnen. Dies blieb acht Jahre lang so. Nach dem Krieg tauchten zwei Ingenieurinnen auf, die man natürlich meiner Brigade zuteilte. Die sind dann nach meiner Pensionierung selbst Leiterinnen geworden. Heute sind schon siebzig Prozent aller Angestellten bei dieser Behörde Frauen. Sie haben offenbar die Angst vor der Verantwortung und vor der Technik verloren.
Aber auch als ich noch allein war: immer wenn jemand im Projekt einen Artikel gegengelesen haben wollte oder eine Rezension seiner Dissertation brauchte, dann wandte er sich an mich und nicht an die übergeordneten Chefs. So einen Ruf hatte ich!
Bei diesem Prestigeprojekt bestand jedoch die ganze Chefetage einfach aus widerlichen Leuten. Kaum hatte man irgendeinen interessanten Vorschlag eingereicht, dann hieß es: Ihren Familiennamen brauchen sie aber nicht darunterzusetzen. In diesem Fall galt das nämlich als Vorschlag des Metroprojekts, und die Lorbeeren ernteten die Vorgesetzten. Während meiner ganzen Dienstjahre dort habe ich eine Masse solcher Anregungen gemacht, könnte daher auch von einer Masse von Auswüchsen berichten. Höhere Auszeichnungen gab man mir nie. Immer wenn ich dafür vorgeschlagen wurde, strich mich die Parteiorganisation gleich wieder von der Liste. Natürlich waren auch die Auslandsreisen den Männern vorbehalten.
Ein besonders krasser Fall ist mir vom Metrobau in Tbilissi her in Erinnerung. Wegen der Gesteinsarten dort im Kaukasus mußte ich an Ort und Stelle eine völlig neue, ziemlich sensationelle Theorie über die zulässige Belastung der Gewölbe entwickeln. Aber den offiziellen Vortrag darüber hielt mein Chef. Es wäre einfach nicht angegangen, daß ich dafür eine Auszeichnung bekommen hätte.
(...) Aber es gibt Schlimmeres im Leben eines Ingenieurs. Ich denke dabei an einen Kollegen, der damals, als man es mehreren von uns nahegelegt hatte, in die Partei eingetreten war. Nun bekamen wir verschiedene Abschnitte zur Ausführung zugeteilt. Sagen wir mal, ich die Station ,Kiewskaja‘ und er die Station ,Arbatskaja‘. Und da schlägt er nun irgendeine Konstruktion vor. Ich meinerseits schlage vor, daß die stützenden Pylonen nicht mehr aus drei zusammenstrebenden Stämmen bestehen sollten, sondern aus einem einzigen, aber kräftigeren Pfeiler. Damit in der Station mehr Platz ist. Auch wenn ich heute in der U-Bahn fahre, gefällt es mir am besten, wenn eine intelligente Konstruktion sichtbar wird. Mir liegen weniger die prunkvoll mit Marmor verkleideten Stationen. Aber wenn eine nackte Konstruktion so schön ist, daß es dir den Atem raubt – da lacht mein Herz.
Aber zurück zu damals: Er entwirft irgend etwas, das furchtbar viel Gußeisen auffrißt. Das alles wird anschließend im Ministerium überprüft, wo sie zum Schluß kommen: ,So wie vorgeschlagen kommt uns die Arbatskaja zu teuer. Da haben wir doch schon ein sehr gutes Projekt für die Kiewskaja liegen, also machen wir's doch einfach genauso wie dort.‘
Etwas Ähnliches ist ihm dann noch ein zweites Mal mit mir passiert. Sie können sich vorstellen, daß die Männer im Metroprojekt ganz außer sich waren. Deshalb finde ich, daß ich trotz allem als Ingenieurin ein glückliches Schicksal gehabt habe. Denn alles, was ich je konstruiert habe, wurde auch ausgeführt – und steht.“ Notiert von Barbara Kerneck
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen