: Letzte Pokerrunden um Hebron
Die israelisch-palästinensischen Verhandlungen über einen Truppenrückzug sind eigentlich unter Dach und Fach. Jetzt geht es um einen günstigen Termin für die Unterschrift ■ Aus Tel Aviv Amos Wollin
Der US-amerikanische Unterhändler Dennis Ross war schon auf dem Weg zum Flughafen, als er den entscheidenden Anruf des israelischen Regierungschefs Benjamin Netanjahu erhielt. So flog er nicht, wie Montag angekündigt, in die USA zurück, sondern setzte seine Vermittlungstätigkeit zwischen Israelis und Palästinensern fort. Zuvor hatte Ross erklärt, er breche seine Bemühungen ab, da die Gespräche über einen israelischen Rückzug aus der Stadt Hebron in einer Sackgasse steckten.
Dani Naveh, Sprecher der israelischen Regierung, mochte gestern nicht von einer Krise reden. Seiner Version zufolge ist ein „positiver Verhandlungsabschluß nah und hängt jetzt nur noch von den Entscheidungen der palästinensischen Führung ab“. Auch Präsident Eser Weizman machte den Chef der palästinensischen Autonomiebehörde, Jassir Arafat, für den Aufschub bei der Unterzeichnung des Hebron-Abkommens verantwortlich. Die für Sicherheitsfragen zuständige palästinensische Delegation hatte den Verhandlungstisch am Montag abend aus Protest gegen die unnachgiebige israelische Haltung verlassen. Ahmed Tibi, Arafat-Berater in Jerusalem, warf Israel vor, vom Osloer Friedensabkommen abzuweichen, um Hebron zwischen jüdischen Siedlern – 50 Familien – und den mehr als 120.000 palästinensischen Einwohnern zu teilen.
Die israelischen Behörden begründen Arafats Verzögerunsmanöver damit, daß dieser die gegenwärtige Besuchsserie europäischer Politiker zur Stärkung seiner Position und als Druckmittel Israel gegenüber voll ausnützen will. Durch eine „voreilige“ Unterzeichnung des Hebron-Abkommens mit Israel würde Arafat seinen europäischen Wohltätern auch die Grundlage bei ihren Bemühungen für intensivere EU-Einflußnahme in der Region entziehen, meinen israelische Regierungsbeamte, die nervös und sehr kritisch mit der europäischen diplomatischen Nahost- Initiative umgehen.
Insbesondere die Nahost-Reise des französischen Präsidenten Jacques Chirac und seine Auftritte in Israel haben die Regierung verärgert. Gestern protestierte Chirac bei einem Besuch in Ostjerusalem gegen die zu enge Polizeibewachung, die jeden Kontakt zu Palästinensern unmöglich machte, und drohte mit dem Abbruch seines Israel-Aufenthaltes.
Einem Bericht der Zeitung Haaretz zufolge haben die Generäle Schahor und Mofaz, die auf israelischer Seite die Verhandlungen führen, die Palästinenser gewarnt, daß eine Krise bei den Hebron-Gesprächen zu einem Ende des Friedensprozesses führen und Israel dann auf die „militärische Option“ zurückgreifen werde. Gleichzeitig warnte das israelische Militärkommando erneut vor einem Krieg, falls es nicht bald zu einer Wiederaufnahme der israelischen Verhandlungen mit Syrien kommt. Israelis und Palästinenser geben jedoch zu, daß eine Einigung in allen wichtigen Fragen im Prinzip bereits erzielt wurde. Man wartet eigentlich nur noch auf den geeigneten Moment für die Veröffentlichung, und beide Seiten verwenden die Wartezeit, um noch kleine Änderungen zum jeweiligen Vorteil herauszuschlagen.
In Jerusalem wird angenommen, daß die angedrohte Abreise des US-Vermittlers eines der Mittel ist, mit denen Washington beabsichtigt, den Abschluß des Verhandlungsprozesses so im Griff zu behalten, daß die Entscheidung zu Hebron planmäßig kurz vor den Wahlen in den USA als Clintons Erfolg hochgespielt und gefeiert werden kann.
Lesen gegen das Patriarchat
Auf taz.de finden Sie eine unabhängige, progressive Stimme – frei zugänglich, ermöglicht von unserer Community. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen