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An der horrenden Deckungslücke im Berliner Haushalt hat sich auch nach dem gestern ausgehandelten Sparpaket kaum was geändert. Sparen ist angesagt, auch Landesvermögen soll verkauft werden. Aber konsolidiert ist das Budget damit noch nicht.

An der horrenden Deckungslücke im Berliner Haushalt hat sich auch nach dem gestern ausgehandelten Sparpaket kaum was geändert. Sparen ist angesagt, auch Landesvermögen soll verkauft werden. Aber konsolidiert ist das Budget damit noch nicht.

Berlin schiebt den Konkurs vor sich her

Beim Essen war sie „sehr freundlich“. Undine Schneider, Bedienung in der Europäischen Akademie, war selbst ein bißchen überrascht von der „Eisernen Lady“. So wird die Berliner Finanzsenatorin Annette Fugmann- Heesing (SPD) gern genannt. Seitdem die 41jährige mit dem Bürstenhaarschnitt die Verantwortung über den Stadtsäckel der Hauptstadt übernommen hat, weht ein anderer Wind in der Großen Koalition von CDU und SPD.

Sechs Tage lang saßen Berlins SenatorInnen in der Europäischen Akademie zusammen, um einen Entwurf für den Landeshaushalt 1997 vorzulegen. Gestern, am siebten Tag, traten sie aus der Villa im Nobelbezirk Grunewald, und wenig war geschafft. Rund sieben Milliarden Mark fehlten im 97er Etat (bei Ausgaben von 43 Milliarden). 5,8 Milliarden Mark davon sollen Vermögensverkäufe einspielen. Von einer Konsolidierung des Berlinbudgets kann also keine Rede sein. 1,4 Milliarden Mark sollen in den Einzeletats erwirtschaftet werden – aber 300 Millionen davon sind noch gar nicht verteilt. Offen ist selbst die Entscheidung, was vom Tafelsilber – Immobilien, Grundstücke, öffentliche Betriebe – zu verkaufen sei. „Wir haben überhaupt nicht über irgendeinen Betrieb geredet, sondern nur die Summe 5,8 Milliarden eingestellt“, gestand SPD-Fraktionschef Klaus Böger gestern.

Damit befindet sich die Hauptstadt weiter auf dem Weg der Konkursverschleppung. Als hochsubventionierte Frontstadt häufte sich in Berlin eine horrende Deckungslücke im Etat auf. Als Berlin Hauptstadt wurde, differierten Ausgaben und Einnahmen immer noch um acht Milliarden Mark – 20 Prozent des Haushalts waren ungedeckt. Daß sich auch im Jahr sieben nach dem Mauerfall daran wenig geändert hat, wird vor allem Elmar Pieroth (CDU) angelastet, dem larmoyanten Vorgänger der Sparkommissarin Fugmann-Heesing.

Beim Essen hat Undine Schneider Elmar Pieroth nicht gesehen. Dem ehemaligen Weinhändler war das Mahl zu karg. Regelmäßig verließ Pieroth die Klausur, um in einem Restaurant im Grunewald zu speisen. Zahlen interessierten Pieroth nie besonders. Früher endeten Sparklausuren schneller, weil er augenzwinkernd versprach: Das kriegen wir schon hin. Auch als Finanzsenator ließ sich Pieroth während Sparklausuren das Nickerchen nicht nehmen. Die Finanzsenatorin Fugmann-Heesing rang gestern nacht allein sechs Stunden mit dem Kultursenator.

Die Finanzsenatorin reagierte sichtlich enttäuscht auf das Ergebnis der Sparklausur. Der Frage nach dem Verhältnis von Konsolidieren und Verkaufen wich sie aus. Die Nettoneuverschuldung in Berlin werde um 650 Millionen gesenkt. Sie liegt bei 5,4 Milliarden Mark 1997, und die Zinszahlungen dafür werden das Land 1999 fast jede zweite Steuermark kosten. Sie sei zufrieden, verwies Fugmann- Heesing auf die „Strukturmaßnahmen bis zum Jahr 2000“, die erreicht worden seien.

Für das Jahr 2000 wurde viel erreicht. Aber da wird schon ein neuer Gesetzgeber zuständig sein. 2.500 Stellen sollen zusätzlich aus dem Personaletat gestrichen werden – in den Jahren 2000 und 2001. Da fiel es Innensenator Schönbohm leicht zuzustimmen. Er ist dann nicht mehr im Amt. Kultur und Wissenschaft wurden kräftig zur Ader gelassen. Obwohl der zuständige Senator Peter Radunski (CDU) kämpfte „wie ein Löwe“ (so sein Sprecher), muß er im Kulturetat 100 Millionen Mark bis 1999 abgeben. Die leichte Muse muß danach auf staatliche Zuschüsse weitgehend verzichten. Die Tanz- und Musiktheater Friedrichstadtpalast, Metropol und das Theater des Westens sollen künftig selbst mehr Einkünfte erwirtschaften.

Der Wissenschaftsetat, mit 3,4 Milliarden der größte Brocken im Berliner Haushalt, schrumpft hingegen erneut um 150 Millionen Mark. Ob damit die bereits von 115.000 auf 85.000 reduzierten Studienplätze an der Spree zu bezahlen sind, bezweifeln viele in den drei Universitäten der Hauptstadt.

Vergleichsweise gut weggekommen ist das Bauressort. Obwohl die Finanzsenatorin dort den staatlich geförderten Neubau von Wohnungen deutlich beschränken wollte, verließ Bausenator Jürgen Klemann (CDU) die Grunewaldvilla erhobenen Hauptes. Statt 30.000 Wohneinheiten soll er nur 22.000 in den nächsten Jahren bauen dürfen. Finanzsenatorin Fugmann-Heesing wollte hier ursprünglich nur noch den Bau von 10.800 Wohnungen zulassen, um ihren Investitionsetat zu schonen.

Aber gerade bei den Investitionen zeigte sich die CDU hartnäckig. Er habe auf die Wirtschafts- und Arbeitskraft Berlins geachtet, betonte der Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU). Auch Diepgen, dem während der Verhandlungen von seinem Koalitionspartner immer wieder Führungsschwäche attestiert worden war, trug damit einen Sieg davon. Er rettete seine Idee einer „antizyklischen Wirtschaftspolitik“. Der Stadtstaat solle seine marode Wirtschaft ankurbeln, hieß das, indem er Investitionen tätige.

„Ich würde sie fragen, wo konkret gespart werden muß“, empfahl die serbische Journalistin Olivera Bergam. JournalistInnen waren nicht nur draußen, sondern auch drinnen in der Europäischen Akademie. Zwölf serbische Zeitungsleute teilten sich mehrere Tage lang die Villa mit der Berliner Regierung. Doch der Regierende Bürgermeister ließ die Frage nach dem Konkreten draußen vor der Tür der Villa nicht zu. „Das warten wir mal ab“, unterbrach er seine Finanzchefin Fugmann-Heesing. Die fügte sich und ging. Auch Elmar Pieroth war nicht mehr zu befragen. Der Wirtschaftssenator nahm an der letzten Klausurnacht nicht mehr teil. Er jettete lieber nach London, um für Berlin zu werben.

Das Abgeordnetenhaus indes wird den Etat frühestens im Februar 97 verabschieden können. Bis dahin muß Berlin mit einem Nothaushalt regiert werden. Christian Füller, Berlin

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