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Funsport: Total geil im Kunstschnee

Am Wochenende trafen sich auf der größten Outdoor-Rampe der Welt am Potsdamer Platz 16 Snowboarder und zeigten im Rahmen von „Ballantin's Urban High“ Trickskisprünge sowie Artikel der Funsportindustrie. Da half nur ein Doppelkorn  ■ Von Detlef Kuhlbrodt

Die verödete Mitte kriegt wieder neues metropolitanes Leben. Vor ein paar Wochen die Soccermitmachshow von „snickers“ und „ran“ mit DJ Bobo vor dem Überbleibsel stalinistischer Volksverachtung, dem Palast der Republik, dann Barenboims ulkige Kranshow, nun „Ballantin's Urban High“, ein Event der Superlative auf mehreren Ebenen.

In Erinnerung wohl auch an den Weltcupslalom, der vor zehn Jahren, wie sich die Älteren unter uns vielleicht noch erinnern, am Teufelsberg stattfand, trafen sich am Wochenende am Potsdamer Platz auf der „größten Outdoor-Rampe der Welt“ 16 der weltbesten Snowboarder aus acht verschiedenen Ländern zum ersten Kräftemessen der Saison. Damit es den vielleicht 15.000 ZuschauerInnen nicht so langweilig wurde, gab es auch ein reichhaltiges Neben- und Beiprogramm. Bei einer „Fashionshow“ wurden die neuesten Outfits der Szene gezeigt, diverse Lifeacts, unter anderem „High-Speed-Rave- Kultur“-Band Prodigy, traten auf, die weltbesten BMX-Fahrer, Inline-Skater und Skateboarder zeigten ihre erstaunlichen Fertigkeiten auf einer herumstehenden Halfpipe-Rampe.

Vieltausend Dinge braucht das moderne Erlebnisfunerleben. Nur der Himmel gab sich etwas depressiv, und ein Problemjugendlicher trank Apelkorn in großen Zügen, und ein Stand, an dem Spreewälder Pfeffergurken verkauft wurden, paßte auch nicht so ganz. Die oder der oder das „Ballantin's Urban High“ schien in Berlin nicht so recht zu funktionieren. Die von Apple und Energy und Ballantin's und Sony und der Funsportindustrie und der veranstaltenden Eventmarketingagentur angepeilte Zielgruppe, wenn's die denn gibt, also funsport- und erlebnisorientierte Jugendliche, die möglicherweise das Geld haben, sich ihr Vergnügen etwas kosten lassen zu können, überwog nicht unbedingt. Statt dessen: charmante Berliner Mischung – Jugendliche mit Haschischzigaretten, schöne Mädchen, Punker, Prolls, Jung und Alt und vor allem Touristen, die eher zufällig ihren Potsdamer-Platz- Baustellenbesuch beim „Ballantin's Urban High“ ausklingen ließen. Die sich hardcoremäßig gebenden Bands am Nachmittag waren nicht zu beneiden, bestenfalls hopsten mal zehn Zuschauer und ein graubärtig vergnügter Hippie am Rande, der Becks-Dosenbier trank. „Danke Berlin“.

„Wir arbeiten gerade an einem Projekt über die Jugend der Neunziger“, sagt ein schüchterner Journalist im Pressezelt. „Das ist ja ganz aktuell“, antwortet die junge Pressebetreuerin. In der beheizten VIP-Bar treffe ich bei einem Ballantin's-Cocktail L. Sie ist in der Modebranche tätig. Dominic Ghanbar dagegen kommt aus München und macht in Berlin gerade seine dritte Platte. Studiomusiker von Janet Jackson sind auch dabei. Hoffentlich wird es nicht wieder ein Flop. B. wiederum ist 21 und findet die Snowboard-Rampe „total schön“. A. ist möglicherweise noch Teenager und scherzt, sie gehöre zur „Rumhängecrew“.

Erlebnisfunspaßsport ist zuschauermäßig nicht unbedingt spannend: ausschließlich junge Männer im Outfit fuhren die Rampe herunter, hüpfen über eine Sprungvorrichtung und machen dabei beispielsweise „Rodeo“- Sprünge und fallen dann hin oder nicht. Jemand wird gewonnen haben.

In der Halfepipe-Röhre fahren Inline-Skater, Skateboarder und BMX-Fahrer rauf und runter. Oben werden Dreh- und Saltoeinlagen vollzogen, die ziemlich imponierend sind. Alles wiederholt sich immerzu und ununterbrochen, was theoretisch doch recht interessant ist. Denn angestrebt wird offensichtlich ja ein totales Erleben, das sich ständig wiederholt und überall auf dem Weg zum total abgedichteten Erlebniskonsumnarzismus, auf dem dann irgendein Produktname steht, gespiegelt werden soll und will. Man sieht die funsportliche Aktion und ihre Live-Aufzeichnung gleichzeitig, und im Zelt ein paar Meter weiter kann man das dann noch mal an diversen Playstations simulieren.

Begleitend gibt es dann noch die völlig durchgedrehte Sprache zeitgenössischer Erlebnisexperienceeventmags: „Mit seinen Adidas- Sneakern und Bad-Boy-Tattoo auf dem Armen, sowie mit seiner ganzen Attitude, war er völlig Punk. Im Gegensatz zu den meisten Flat- Freestylern, die ja meist somehow dissymäßig fahren und der ganzen Sache einen Kunstrad-Touch geben, als Underground-lifestyle- Activity, fuhr er sehr eigenständig und powerful. Das war cool, brachte die Szene wirklich weiter und blieb im Gehirn hängen.“

Viele Zuschauer gingen dann zum Sportschauzelt, viele kamen, als Prodigy anfingen zu spielen. Zu Hause, im Superchannel, sausten hübsche Bikinimädchen durch interessante Landschaften. Der nächste Ereignisevent ist auch schon in Planung: The Bundestag wird kommen mit Politiksimulatoren, trashigen Kleinparteien (FDP), Hinze, Scharping, Westerwelle und den ganzen abgefahrenen freakigen Faces.

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