: Währungsunion ohne Deutschland
■ Herbstgutachten der Wirtschaftsforschungsinstitute: Günstige Wachstumsprognose, aber zu hohes Defizit
Bonn/Berlin (AP/taz) – Um 2,5 Prozent soll das deutsche Bruttoinlandsprodukt (BIP) im nächsten Jahr wachsen. Diese optimistische Prognose gaben die sechs führenden Wirtschaftsforschungsinstitute in ihrem gestern vorgelegten Herbstgutachten ab. Sie liegen damit im Einklang mit den Schätzungen der Bundesregierung.
Doch den optimistischen Annahmen zum Trotz: Deutschland wird sich im entscheidenden Jahr 1997 nicht für die Europäische Währungsunion qualifizieren. Zwar werde das Defizit von Bund, Ländern und Gemeinden im nächsten Jahr um 17 Milliarden auf 127 Milliarden Mark sinken. Gleichwohl werde der Fehlbetrag 3,5 Prozent des BIP betragen – und damit deutlich höher sein als die im Maastricht-Vertrag vorgesehene Obergrenze von drei Prozent. Auch die Gesamtverschuldung von 60 Prozent werde überschritten.
Damit liegen die Institute mit Finanzminister Theo Waigel über Kreuz. Sie rügen seine bisherigen Sparbemühungen als planlos und Gefahr für den Aufschwung. Von „hektischem Aktionismus“ sprach Elke Schäfer-Jäckel vom Rheinisch-Westfälischen Institut. Waigel behauptet dagegen, daß er schon noch die Voraussetzungen schaffen werde, 1997 die Neuverschuldung unter drei Prozent des BIP zu drücken. „Ich glaube, bei Waigel ist der Wunsch Vater des Gedankens“, kommentiert der Konjunkturexperte des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Gustav Horn.
Um die Maastricht-Kriterien noch einzuhalten, müßten Bund, Länder, Kommunen und Sozialkassen zu ihren bisherigen Streichpaketen noch zusätzlich 15 Milliarden Mark sparen, schreiben die Experten von DIW, ifo-Institut, HWWA, Rheinisch-Westfälischem Institut für Wirtschaftsforschung, Institut für Weltwirtschaft und dem federführenden Institut für Wirtschaftsforschung Halle. Allerdings weisen sie auch darauf hin, daß der Maastricht-Vertrag für eine Übergangszeit eine Überschreitung der Verschuldungsgrenzen durchaus erlaube.
Wie sich die Gutachten gleichen: Ein Wirtschaftswachstum von 2,5 Prozent hatten die Institute schon im vergangenen Herbst für 1996 vorhergesagt. Jetzt aber gehen die Konjunkturexperten von einem Wachstum von gerade mal 1,5 Prozent in diesem Jahr aus. Wenn diverse optimistische Annahmen – zurückgehende Ölpreise, mehr Auslandsnachfrage, moderate Lohnabschlüsse, niedrige Zinsen sowie die Umsetzung von Sparpaket und Steuerreform – nicht eintreten, wird auch 1997 das Wachstum niedriger liegen. FDP- Wirtschaftsexperte Otto Graf Lambsdorff nannte das Gutachten „eher Hoffnung als Prognose“.
Genau wie in den vergangenen Jahren gehen die Wirtschaftsforscher davon aus, daß das höhere Wachstum keine Jobs schaffen wird. Im Gegenteil, die Arbeitslosigkeit klettert von 10,3 auf 10,4 Prozent. Angesichts der kaum zunehmenden Einkommen dürfte der Staat auch im nächsten Jahr geringe Steuereinnahmen verzeichnen, zumal Unternehmen immer weniger Steuern zahlen.
Gar nicht optimistisch äußern sich die Institute über die neuen Bundesländer. 1996 wächst die Ostwirtschaft mit 1,5 Prozent nicht schneller als die im Westen. Und 1997 soll das Wachstum in Ostdeutschland mit zwei Prozent sogar erstmals unter der westdeutschen Rate liegen. lieb
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