: Hogefeld fordert Auflösung der RAF
■ Angeklagte erklärt in ihrem Schlußwort im Frankfurter Prozeß, der Kampf der Rote Armee Fraktion gehöre „einer vergangenen Epoche an“. Sie kritisiert den „grauenhaften Mord“ an einem US-Soldaten im Jahre 1985
Berlin (taz) – Die frühere Aktivistin der Rote Armee Fraktion (RAF), Birgit Hogefeld, hat ihre ehemaligen GenossInnen aufgefordert, die „Auflösung als RAF zu erklären“. In ihrem Schlußwort vor dem Oberlandesgericht Frankfurt sagte Hogefeld gestern, der Kampf der RAF gehöre „einer vergangenen Epoche an“. Im Rückblick hätte nach ihrer Überzeugung die Selbstreflexion spätestens 1977 – nach der Schleyer-Entführung, Mogadischu und dem Tod der RAF-Gründungsmitglieder in Stammheim – einsetzen müssen, statt immer mehr „in eine Auseinandersetzung RAF–Staat zu treiben, bei der die Gesellschaft, aber auch ein großer Teil der Linken, außen vor stand“.
In der Erklärung am Ende des fast zweijährigen Mammutprozesses griff die Angeklagte Bundesanwaltschaft und Gericht scharf an. Nie habe in dem Verfahren Aufklärung und Wahrheitsfindung im Zentrum des Interesses gestanden. Dies gelte insbesondere für den Mordvorwurf im Zusammenhang mit der gescheiterten Festnahmeaktion in Bad Kleinen, bei der Ende Juni 1993 Hogefelds Lebenspartner Wolfgang Grams und der GSG-9-Beamte Michael Newrzella getötet wurden. Die Bundesanwaltschaft hatte in ihrem Plädoyer gegen Hogefeld wegen „Mittäterschaft“ eine lebenslange Freiheitsstrafe beantragt, obwohl die Angeklagte bereits festgenommen und gefesselt war, als die Schießerei auf dem Bahnsteig begann.
Gegen den Vorwurf, sie habe sich durch ihr Schweigen zu den zentralen Anklagepunkten – neben Bad Kleinen vor allem der RAF-Mord an dem US-Soldaten Edward Pimental und der anschließende Sprengstoffanschlag auf die Frankfurter U.S. Airbase – selbst um alle Chancen für ein mildes Urteil gebracht, sagte Hogefeld, damit hätte sie möglicherweise andere belastet: „Diese indirekte Sorte von Denunziation kommt für mich als Weg genausowenig in Frage wie direkter Verrat.“
Als erste RAF-Gefangene überhaupt sprach Hogefeld vor Gericht ausführlich über die Opfer der Terrortruppe. Den Mord an dem US-Soldaten empfinde sie heute „als grauenhaft und zutiefst unmenschlich“. Wenn sie jetzt Briefe von RAF-Mitgliedern aus den achtziger Jahren lese, „sträuben sich mir angesichts der kalten und menschenverachtenden Sprache oft die Haare“. Auch sie selbst habe damals so geredet. „Wir waren denen, die wir bekämpfen wollten, sehr ähnlich und sind ihnen wohl immer ähnlicher geworden“, kritisierte sie nachträglich die militärische Eskalation. Eindringlich appellierte Hogefeld an die Linke, ernsthaft die Aufarbeitung der Auseinandersetzung zwischen RAF und Staat zu betreiben. Zwar werde dadurch niemand wieder lebendig, doch Diskussionen könnten helfen, Wiederholungen zu vermeiden.
Nach ihrer Überzeugung müßten beide – die RAF wegen ihrer „Bereitschaft zur Eskalation und der Verselbständigungen des Militärischen“ und die staatliche Seite wegen ihrer überzogenen Reaktion – Verantwortung übernehmen. „Es brauchte da schon zwei Seiten“, resümierte Hogefeld, „die gut zueinander paßten, damit diese Eskalationsspirale so funktionieren konnte, wie sie funktioniert hat.“
Die Anklage hat für Hogefeld eine lebenslange Freiheitsstrafe wegen vierfachen Mordes und zehnfachen Mordversuchs beantragt, die Verteidigung die Aufhebung des Haftbefehls aus Mangel an Beweisen. Die Mitgliedschaft in der RAF sei durch die inzwischen fast dreieinhalbjährige Untersuchungshaft abgegolten.
Beinahe beiläufig wies die Angeklagte gestern auf eine Beweislücke hin, die den Richtern bei der Urteilsbegründung möglicherweise einiges Kopfzerbrechen bereitet. Sie und Wolfgang Grams seien zwar im Februar 1984 in den Untergrund abgetaucht – jedoch nicht, um sich unmittelbar danach der RAF anzuschließen. Vielmehr sei es um ein „geklautes Auto“ gegangen, „das aufgeflogen war, ein Schwachsinnsprojekt, und es hatte mit der RAF nicht das geringste zu tun“. Zu welchem Zeitpunkt sie sich der RAF anschloß, sagte Hogefeld, wisse im Gerichtssaal nur sie selbst, „im Februar 1984 war es jedenfalls nicht“. Der RAF-Anschlag auf die U.S. Airbase, der der Angeklagten den Vorwurf des vierfachen Mordes einbrachte, geschah im August 1985.
Die Urteilsverkündung wird für den kommenden Dienstag erwartet. Gerd Rosenkranz
Reportage auf Seite 5
Dokumentation der Hogefeld-Erklärung Seite 16
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