: Den „Deutschen Herbst“ ad acta legen
■ Morgen beginnen die Plädoyers im Landshut-Prozeß, das Urteil fällt in zwei Wochen
Souhaila Andrawes wirkt, als habe sie abgeschlossen – mit sich, mit dem Prozeß und mit ihrer politischen Geschichte. Auch das Hamburgische Oberlandesgericht (OLG) wird, stellvertretend für die deutsche Justiz, den als “Deutschen Herbst 1977“ bezeichneten Teil der Geschichte nach rund zwanzig Jahren zu den Akten legen – wie, wird sich in den kommenden zwei Wochen zeigen. Morgen plädiert die Bundesanwaltschaft (BAW) im Verfahren gegen Andrawes. Zwei Wochen später wird das Urteil gegen die Palästinenserin verkündet.
Die zu erwartende Strafe liegt zwischen einigen Jahren und einer lebenslangen Freiheitsstrafe. Unstrittig ist, daß Andrawes 1977 als Mitglied des palästinensischen „Kommando Martyr Halimeh“ die Lufthansamaschine „Landshut“ entführt hat. Klar ist auch, daß sie dafür wegen Flugzeugentführung, Geiselnahme und Angriffs auf den Luftverkehr verurteilt werden wird.
Strittig zwischen der BAW und Andrawes' AnwältInnen ist hingegen, ob ihr auch die Erschießung des Piloten Jochen Schumann zugerechnet wird. Andrawes selbst hatte den Anführer des Entführungskommandos Akacha als allein Handelnden bezeichnet.
Auf wie viele Jahre Gefängnisstrafe der dritte Strafsenat des OLG befindet, hängt außerdem davon ab, ob Andrawes den Status einer Kronzeugin erhält. Einer ihrer VerteidigerInnen, der Greifswalder Anwalt Andreas Karow, zeigte sich gegenüber der taz davon überzeugt – obwohl Andrawes sich vor dem OLG geweigert hatte, belastende Aussagen über die parallel in Frankfurt/Main angeklagte Monika Haas zu machen. Doch bei ihrer Festnahme in Norwegen im Oktober 1994 hatte sie Haas beschuldigt, damals die Waffen nach Mallorca geliefert zu haben. Da sie im Prozeß bestätigt habe, sich in Norwegen entsprechend geäußert zu haben, sei vom Erhalt des Kronzeugenstatus auszugehen, gab sich Karow zuversichtlich. Ehemalige RAF-Mitglieder, die als KronzeugInnen andere belastet hatten, sind durchschnittlich zu 12 Jahren Gefängnis verurteilt worden.
Nach dem Sturm der „Landshut“ durch die deutsche Sondereinsatztruppe GSG-9 saß Andrawes bereits knapp zwei Jahre in Somalia im Gefängnis. Diese Haftzeit wird ihr angerechnet und wegen der härteren Haftbedingungen dort auf mehrere Jahre aufgestockt. Auch die Monate, die sie in Hamburg in Untersuchungshaft verbracht hat, werden von der verhängten Strafe abgezogen. Zudem eröffnet die Strafprozeßordnung die Möglichkeit frühzeitiger Haftentlassung beim Vorliegen „besonderer Gründe“. Bei Andrawes könnte zum Tragen kommen, daß sie persönlich ihre politische Geschichte als Vergangenheit begreift und in den letzten Jahren ein rundum gesell-schaftskonformes Leben mit ihrer Familie geführt hat. Elke Spanner
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