: Asche zu Asche
■ Wie ein Student seine Diplomarbeit für immer verlor, weil der Hausbesitzer die Wohnung ausräumen ließ
Günter Kiers hatte monatelang Bücher gewälzt und Exzerpte verfaßt. Sämtliche Vorarbeiten seiner Diplomarbeit lagen sicher auf ihrem Platz. Aber nur bis zum Mittwoch der letzten Oktoberwoche. An diesem Tag spielte sich für Kiers der Alptraum eines jeden Diplomanden ab. Die Diplomarbeit ist futsch. Und das alles wegen eines durchgedrehten Vermieters.
Eine Woche zuvor war die Familie Kiers noch voll im Umzugsstreß. Viele Kartons und Möbel schafften sie von ihrer alten Wohnung in Walle zu ihrem neuen Domizil im Viertel. Bis auf „wenige persönliche Sachen“, wie Briefe, eine E-Gitarre, ein Computer und – die Diplomarbeit. Mit der Hausverwaltung Jörg-Heiner Gallwoßos (JGH) sei alles abgemacht gewesen, erzählt der 38jährige Student der Wirtschaftswissenschaften. Bis zum 1. November sollte die Familie ausgezogen sein, bis dahin galt der Mietvertrag. Renovieren sollten die Kiers nicht. „Wir sind ja auch im nichtrenovierten Zustand da eingezogen“.
Am Mittwoch dann machte sich Student Günter noch einmal auf den Weg in die Osterfeuerbergstraße. Seine Wohnungstür aber war durch eine neue ausgetauscht, ebenso das Schloß, erzählt er. Verdutzt rief Kiers dann seine Hausverwaltung an und was er da zu hören bekam, „das darf man sich einfach nicht bieten lassen.“ Barsch habe ihn der zuständige Mensch wissen lassen, „daß da nichts mehr zu machen sei“, so Kiers. „Weg und fort“ seien alle seine Sachen – ausgeräumt die Wohnung, weggeschleppt die Kartons. Kiers steigt sofort durch eine Hintertür in die Wohnung ein – der Raum ist leer: „Die haben das einfach alles weggeschmissen.“
Im fernen Rendsburg hat es sich gerade der Waller Hausbesitzer Hilgenfeldt in seiner Apotheke bequem gemacht. Mit schauriger Stimme führt der aus, was sich besagter Mieter Kiers alles zu Schulden kommen lassen hat: Filzstifte des kleinen Sohnes an den Wänden, tobende Kinder im Flur, säumige Mietzahlungen bis zu zwei Monaten. Aber das, das sei ja noch nicht alles. „Das war ja alles Müll in der Wohnung, Dreck. Und da saßen auch Fliegen drauf“, erregt sich der Apotheker und will zum Beweise sogleich unzählige Fotos verschicken. „Ausräumen“ sei es deshalb nicht gewesen, „schließlich war das ja nur Müll.“ Die Wohnung müßte vollständig renoviert werden, „da müssen zum 1. November neue Mieter rein.“ Da mußte die Räumung einfach sein.
Von einem rechtmäßigen Mietverhältnis bis zum 31. Oktober will Hilgenfeldt gar nichts hören – auch nichts von Sachbeschädigung und Hausfriedensbruch. Genau diesen Tatbestand sieht aber der Bremer Mieterschutzbund erfüllt, der Kiers jetzt rechtlich vertritt. „Der Vermieter hätte vor dieser Räumung seinem Mieter schriftlich benachrichtigen und Fristen setzen müssen“, sagt Gert Brauer, Mitarbeiter vom Mieterschutzbund. Vorher, so Brauer, habe kein Mensch in dieser Wohnung etwas verloren.
Student Kiers will jetzt „auf jeden Fall“ Strafanzeige stellen – außerdem hat er bei Hilgenfeldt Schadensersatz in Höhe von 8.500 Mark geltend gemacht. „Diese Zahlfrist läuft für ihn in wenigen Tagen ab“, erzählt der Student, der sich, laut Hausbesitzer Hilgenfeldt, klammheimlich in seiner alten Wohnung aus dem Staub gemacht und „nix als Müll“ hinterlassen hat. Und weil dem so sei, will der Hausbesitzer jetzt ebenfalls die Justitia bemühen und auf „Renovierung der Wohnung“ klagen. Hilgenfeldt: „Das kostet mich mindestens 6.000 Mark.“ kat
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