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Blocker, Zieher, Abdecker

■ Taschendieb-Fahnder dozierten über Täterprofil und -praxis

Wenn die Acht der Handschellen sich auf der Hosentasche abzeichnet oder die Adidas-Turnschuhe ihre Träger als Bereitschaftspolizisten ausweisen, haben die Fahnder etwas falsch gemacht. Wenn sie Augenkontakt mit den Observierten aufnehmen, auch. Dann stimmt die Tarnung, die „Legende“ nicht mehr, der Fahnder fliegt auf, im Jargon heißt das: er ist „verbrannt“.

Die „SOKO-TD Bremen“, TD wie Taschendiebstahl, im Einsatz an stark frequentierten Örtlichkeiten muß gegen immer raffiniertere Tricks und Taktiken professioneller Taschendiebe vorgehen. Die stellte die Kriminalistische Studiengemeinschaft gestern in einem erfrischend praxisnahen Seminar im Vortragssaal der Domgemeinde dar. Vorbei die Zeiten, dozierte der Kölner Polizeioberkommissar Karl-Heinz Aderhold, seit 1972 aktiver Taschendiebfahnder auf deutschen Bahnhöfen, als noch der allein arbeitende „Taschenkrebs“ – Merkmal: filigrane Fingerarbeit, Zeige- und Mittelfinger scherenartig fast gleichlang gewachsen – Männer und Frauen unbemerkt um ihre Börsen erleichterte. Gewaltlosigkeit und Geständnisbereitschaft gehörten bis in die 70er Jahre zum guten Ton. Die Diebe von damals wollte Aderhold den anwesenden Kriminalbeamten – allesamt Männer – nochmals in Erinnerung rufen. Und bemühte klassische Filmkunst. „Pickpocket“, 1959 vom französischen Minimalisten Robert Bresson gedreht, schildert minutiös und detailliert die Arbeitsweise eines jener diebischen Einzelgänger, deren Fingerfertigkeit schon artistische Ausmaße hat. Aderhold hat „Pickpocket“ buchstäblich auf Polizeibedürfnisse zugeschnitten, den Film auf die eigentlichen Diebstahlszenen verkürzt und diese wiederum in Zeitlupe gedehnt.

Heute geht's grober zu. Rumänen, Südamerikaner, Albaner, Ex-Yugoslawen, Polen und bosnische Sinti-Kinder teilen sich den Markt auf. Deutsche Taschendiebe gibt es so gut wie keine. Eine „Mentalitätssache“ sei das, sagt Aderhold. Deutsche gingen lieber auf Distanz, und zum Taschendiebstahl gehöre eben Tuchfühlung. Mittlerweile seien aus Taschendieben „Taschenwilderer“ geworden, die in Gruppen arbeiten. Der „Blocker“ läßt das Opfer, zum Beispiel beim Einstieg in die Straßenbahn auflaufen, der „Abdecker“ sorgt dafür, daß Umstehende nichts bemerken, damit der „Zieher“ unbemerkt zur Tat schreiten kann. Und der „Ge-genobservant“ sondiert – aus sicherer Distanz“ – den Tatort: Sind Zivis in Sicht? Dann wird die Aktion abgebrochen. 1.000 Mark „Tagesverdienst“ pro Kind kommen schon zusammen, wenn die zwei großen Kölner Sinti-Familien ihre Kleinen losschicken, hat die Kripo ausgerechnet. Immer mal wieder schnappt Karl-Heinz Aderhold die Minderjährigen, eskortiert sie aufs Jugendamt, nach zehn Minuten haben sie das Weite gesucht und winken Aderhold auf dem Bahnhof zu: „Hallo, Karl-Heinz!“

Alexander Musik

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