piwik no script img

Kleinere Juchzer

In Katharina Thalbachs Inszenierung von Molières „Don Juan“ im Maxim Gorki Theater kommt meist Dralles, Nettes und Gebasteltes vorbei  ■ Von Petra Kohse

Im Anfang war die Sehnsucht. Schöne Damen betten sich im Halbdunkel auf hellbraunen Flokati, welcher Stroh und also eine bäuerliche Umgebung symbolisiert. Sie seufzen, singen Spanisches, erheben sich dann, schwingen sanft ihre Volantröcke und deuten Flamenco-Schritte an. Dabei sollten wir gar nicht in Spanien, sondern auf Sizilien sein.

Aber die Wahl des Ortes war anno 1665 ohnehin nur ein Trick von Molière, um deutlich zu machen, daß die Geschichte von Don Juan, die auf Tirso de Molinas „Verführer von Sevilla“ zurückgeht, überall spielen kann, und damit auch in Frankreich. Was sein Stück den Adligen und Frömmlern seiner Zeit besonders verdächtig machte und dazu führte, daß „Don Juan oder Der steinerne Gast“ vom Spielplan genommen werden mußte. Allzu deutlich karikierte Molière den Typ des müßiggehenden Adligen, dessen Freigeist in Dekadenz umgeschlagen ist, und in Don Juans Diener Sgaranelle den geistlosen Gläubigen.

Don Juan ist jung, ein Ästhet und Materialist. „Und hätte ich zehntausend Herzen, und ein schönes Gesicht begehrte sie, ich gäbe sie alle freudig hin!“ sagt er euphemistisch, zieht die Frauen für einen glücklichen Moment gleich dutzendweise in ihr Unglück und schert sich einen Dreck um den Himmel oder die heiligen Sakramente. Sehr zur Verzweiflung seines Dieners, der Don Juan für den Satan hält, ihm das aber nicht sagt — scheinbar aus Feigheit, doch tatsächlich liegt es an der ökonomischen Abhängigkeit. Und da hätten wir neben der herrschaftskritischen auch die sozialkritische Komponente, und die mystische folgt sogleich.

Als Don Juan im Übermut über das aufwendige Grabmal eines von ihm ermordeten Komturs lästert und den Geist des Toten sogar zum Essen einlädt, nimmt dieser überraschend an, und das Tor zur Hölle öffnet sich. Auch sein Vorsatz, sich vom enfant terrible zum Heuchler zu mausern, um ein anerkanntes Leben zu führen, kann Don Juan nun nicht mehr retten.

Katharina Thalbach, die dieses Stück im Maxim Gorki Theater inszenierte, hat ein Faible für Volkstheater – und den Kitsch, weswegen neben ein bißchen Romantik wie in der Anfangsszene vor allem Dralles, Nettes und Gebasteltes vorbeikommt. Die Flokati-Landschaft von Momme Röhrbein etwa ist von einer weiteren Spielfläche durch ein mit Pusteengeln bemaltes Passepartout getrennt, auf dessen runder Öffnung – von Spieluhrklängen begleitet – Abziehbildchen von barocken Frauenpaaren entlangfahren wie eine Modelleisenbahn. Und Don Juan schwebt natürlich auf einer rotsamtenen Schaukel herab.

Michael Maertens trägt eine Langhaarperücke und einen fieslichen Zickenbart, Till Weinheimer als Sganarelle hingegen sieht nach frischer Luft und Bibelkunde aus. Akkurat illustriert er jeden Satz mit einer Geste und trennt seine beiden Haltungen, als wäre es ein mimisches Lehrprogramm. Wenn er mit erhobenem Finger in der Luft bohrt, gibt er den Moralapostel, wenn er Bücklinge macht, den devoten Diener. Zwei Seelen wohnen, ach, in seiner strammen Brust – aber nacheinander.

Maertens ist da schon komplexer. Auch er hält sich die Rolle vom Leibe, doch selbstironisch distinguiert, voller Windungen und und mit weichen Blicken in die Ferne. Dieser Don Juan ist kein Frauenheld, sondern ein Hätschelknabe, dem zwar durchaus eine Gefährlichkeit erwächst, aber mehr aus Narzißmus denn aus Mangel an Moral. Gern weint er sich im Schoß einer Tänzerin aus, und selbst der Orgasmus, mit dem er hier in den Tod geht, äußert sich bloß durch kleinere Juchzer. Thalbach distanziert sich durch ihre Puppenspielästhetik nicht nur von den kritischen Elementen, sondern versäuselt dabei auch den Mythos Don Juan. So klabautert Molière über die Butzenbühne, mit heftigem Beiseite-Sprechen und Grimassieren, mit Bäumen, die aus dem Boden sprießen, und goldenen Schiffchen im Waschtrog. Weder auf Sizilien noch in Sevilla wohnt dieser Don Juan, sondern in einem Kinderzimmer, das er sich nur deswegen zu verwüsten traut, weil er darauf hofft, daß am Abend die Mutti kommen wird und alles wieder aufräumt. Zugegeben, auch das ist eine Art von Sehnsucht.

Wieder am 11., 16. und 24. 11., 19.30 Uhr, Maxim Gorki Theater, Unter den Linden, Mitte

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen