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Mauerschützen müssen büßen

■ Das Bundesverfassungsgericht sieht keine Rechtfertigung für die Schüsse an der Mauer. Menschenrecht bricht in diesem Fall DDR-Recht. DDR-Verteidigungsminister Keßler und seine Helfer müssen ihre Haft antreten

Karlsruhe (taz) – Die Todesschüsse an der innerdeutschen Grenze waren nicht zu rechtfertigen, die Täter müssen bestraft werden. Dies entschied in einem gestern veröffentlichten Beschluß der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe. Es lehnte nicht nur die Verfassungsbeschwerden von drei ehemaligen Mitgliedern des ostdeutschen Nationalen Verteidigungsrates ab, auch die Eingabe eines wegen Totschlags verurteilten DDR-Grenzsoldaten hatte in Karlsruhe keinen Erfolg.

Langjährige Haftstrafen warten nun auf die ehemaligen Mitglieder des Nationalen Verteidigungsrates der DDR: Verteidigungsminister Heinz Keßler muß für sieben Jahre und sechs Monate hinter Gitter, sein Stellvertreter Fritz Streletz für sechs Jahre und sechs Monate und der frühere Suhler SED-Chef Hans Albrecht für fünf Jahre und einen Monat. Die drei heute über 70jährigen Männer waren vom Landgericht Berlin wegen Anstiftung und Beihilfe zum Totschlag verurteilt worden. Der Bundesgerichtshof hatte das Urteil im Juli 1994 nicht nur bestätigt, sondern sogar noch verschärft und die drei DDR-Politiker wegen Totschlags verurteilt.

Dagegen hatten Keßler und die anderen Verfassungsbeschwerde eingelegt. Sie rügten vor allem einen Verstoß gegen das grundgesetzlich verbürgte Verbot der Rückwirkung von Strafgesetzen. Denn zu DDR-Zeiten seien die Schüsse an der Mauer durch das DDR-Grenzgesetz gerechtfertigt gewesen.

Das Verfassungsgericht stellte nun gestern klar, daß es diesen Rechtfertigungsgrund nicht anerkennt, weil er „schwerstes kriminelles Unrecht“ begünstigt habe und damit „die in der Völkerrechtsgemeinschaft allgemein anerkannten Menschenrechte in schwerwiegender Weise“ mißachtete. Auch die Verurteilung eines Grenzsoldaten, der 1972 einen Flüchtling an der innerdeutschen Grenze durch Dauerfeuer getötet hatte, hielt der verfassungsrichterlichen Prüfung stand. Der Soldat hatte sich darauf berufen, daß er nur auf Befehl gehandelt habe. Zumindest im vorliegenden Fall sei jedoch eine derartige Entschuldigung nicht möglich.

Die Karlsruher Entscheidung wird auch Auswirkungen auf den sogenannten Politbüro-Prozeß haben, in dem sich seit Anfang des Jahres Egon Krenz, Horst Dohlus, Günther Kleiber und Günter Schabowski wegen Totschlags vor dem Berliner Landgericht verantworten müssen. Als Mitglieder des höchsten Machtorgans der DDR hätten sie zwar nicht mehr persönlich an den für das Grenzregime grundlegenden Beschlüssen des Politbüros mitgewirkt, es jedoch unterlassen, „auf eine Humanisierung des Grenzregimes hinzuwirken“. Christian Rath Tagesthema Seite 3

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