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Der Mordprozeß ohne Leiche

■ Hautarzt steht seit heute wegen Mordes und dreifachen Mordversuches an Prostituierten vor Gericht. Staatsanwaltschaft präsentiert die Ermittlungsakten

Der holzgetäfelte Gerichtssaal, in dem sich seit gestern der 36jährige Hautarzt Richard S. wegen der Ermordung einer Prostituierten und des Mordversuchs an drei weiteren Frauen verantworten muß, war bis auf den letzten Platz besetzt. Vor den Türen drängten sich Kamerateams und Fotografen. Die gerissensten von ihnen, die Paparazzi, saßen derweil schon mit schußbereiter Kamera im Ärmel neben der schreibenden Zunft im Saal.

Als mitten im Prozeß ein Blitzlicht aufflackerte, ließ die Gerichtsvorsitzende sämtliche Taschen durchsuchen. Hervor kamen drei Kameras, zwei Filme wurden beschlagnahmt. Daß es einigen Paparazzi gelang, den in der Regenbogen-Presse als „Folterarzt“ betitelten Angeklagten auf die Platte zu bannen, ist heute in der Boulevardpresse nachzuschlagen. Für die kommenden Prozeßtage wurden deshalb verschärfte Sicherheitsvorkehrungen angeordnet.

Der blasse, schlanke Angeklagte, der in der FU-Klinik Benjamin Franklin den Spitznamen „der Aristokrat“ getragen haben soll, stünde möglicherweise nicht vor Gericht, wäre er nicht so ein wehleidiger Mensch. Nachdem er am 25. März letzten Jahres eine 29jährige Prostituierte vom Straßenstrich in Schöneberg mitgenommen hatte, hatte er sich selbst am kleinen Finger verletzt, als er auf die Frau mit Hammer und Messer eingeschlagen und -gestochen haben soll. Nach Auffassung des Staatsanwaltes ließ er deshalb von seinem Opfer ab und begab sich selbst ins Krankenhaus.

Bei der Durchsuchung seiner Wohnung fand die Polizei Fotos einer in einer Babybadewanne sitzenden Frau. Gutachter sind davon überzeugt, daß die Abgebildete tot ist. Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, daß es die 18jährige Szanett S. ist, die Anfang März spurlos verschwand. In der Folge ermittelten die Fahnder zwei weitere Prostituierte, die Strangulationsversuche des Angeklagten nur knapp überlebt haben sollen. Beide Frauen berichteten übereinstimmend, daß sie zuvor eine von dem Freier mitgebrachte Damenlederhose anziehen mußten.

Parallel zu dem Prozeß führt die Staatsanwaltschaft noch zwei weitere Ermittlungsverfahren wegen des Todes von zwei Frauen durch. In dem einen wird der Arzt beschuldigt, die 19jährige Prostituierte Sabrina G. ermordet und fachmännisch seziert zu haben. Der Kopf der Frau war 1994 in einem Müllcontainer an einer Autobahn gefunden worden.

Der Verteidiger setzte gestern durch, daß ihm die Staatsanwaltschaft die kompletten Ermittlungsakten zu diesen beiden Fällen aushändigt. Bevor er diese Akten nicht gelesen hat, will sich der Angeklagte nicht vor Gericht äußern. Bei der Kripo soll er die Taten geleugnet haben, indem er sich auf Notwehr berief. Die auf dem Foto abgebildete Frau sei weder tot noch Szanett S., sondern eine Hamburger Prostituierte.

Unter den Prozeßbeobachtern befindet sich auch ein Journalist aus Kanada, wo der Angeklagte Anfang der neunziger Jahre drei Jahre gelebt hat. Aufgrund einer Anfrage der Berliner Kripo wurden dort die Akten von fünf unaufgeklärten Morden an Prostituierten hervorgeholt. Bislang gibt es jedoch keine Anhaltspunkte auf eine Täterschaft des Angeklagten. Der Prozeß wird kommenden Montag fortgesetzt. Plutonia Plarre

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