Besamte Ballons

Die Hanfmesse „Ernte '96“ in Berlin war nicht nur ein Erntedankfest, sondern zugleich Startschuß für die deutsche Hanfwirtschaft
■ Von Volker Wartmann

Das Ganze hat ja überhaupt nichts Anrüchiges“, sagt eine Besucherin, nach eigenem Bekunden langjährige Cannabis- Konsumentin, verwundert. Hanf ist „in“: Nicht Freaks oder Kiffer, sondern ein gemischtes Publikum wollte sich auf der „Ernte '96“ vom 27. bis 29. September über den neuesten Stand in Sachen Hanf kundig machen. Mehrere tausend Interessierte strömten auf das Gelände der Ufa-Fabrik, das anläßlich der Messe in ein großes Hanfdorf verwandelt worden war. Die Aussteller zeigten sich angesichts des großen Zulaufs mehr als zufrieden.

Anläßlich der ersten deutschen Hanfernte seit Jahrzehnten fand die Fachmesse und Konferenz zum Thema Hanf als Rohstoff statt. Veranstalter war die HanfGesellschaft e.V. Die Schirmherrschaft hatte der Berliner Senator für Umweltschutz und Stadtentwicklung Peter Strieder (SPD) übernommen. Auf der Expo und der Konferenz konnten sich Interessierte über Neuigkeiten auf dem Hanfsektor informieren. Viele innovative Produkte wurden dem Publikum präsentiert: vom Hanfwaschmittel über Hanflikör und neue Hanffaserverarbeitungstechniken bis hin zur Klobrille aus Hanf. Auf dem parallel stattfindenden „Hanfmarkt“ wurde den Besuchern eine breite Palette von Hanfprodukten feilgeboten: neben Hanftextilien, Kosmetika und Literatur waren vor allem Backwaren aus Hanfmehl der große Renner. Hanfdöner, Hanffalafel und Hanfpizza fanden reißenden Absatz.

Historisches Interesse bewiesen die Besucher der Ausstellung über die Geschichte des Hanfs, die das Hanfmuseum Berlin organisiert hat. Der Ausstellungsraum ist permanent gut besucht. Oftmals bilden sich Trauben von Wißbegierigen vor den Stellwänden und Vitrinen. Das größte Interesse ruft – vor allem bei den jüngeren Besuchern – die Stellwand unter dem Titel „Kiffen, aber richtig“, hervor. Von der oft beklagten Theoriefeindlichkeit ist hier bei vielen Teenagern nichts zu spüren.

„Der Informationsbedarf ist riesig“, sagt Jochen Kolkmeyer, einer von drei Inhabern des Grow-Shops „Grasgrün“ in Kreuzberg. „Das Publikum hier hat keine Berührungsängste. Wir sind mit vielen Leuten in Kontakt gekommen, die niemals in unseren Grow-Shop kommen würden.“ Besonders erfreut ist Kolkmeyer auch über den Kontakt zu einem Brandenburger Bauern, den er auf der „Ernte '96“ geschlossen hat. Mit ihm wird er demnächst über die Abnahme einer halben bis einer Tonne Hanfsamen „mit ungewissem THC-Gehalt“ verhandeln. Über einen Zentner Hanfsamen hat „Grasgrün“ an diesem Wochenende verkauft.

Jeden Abend um 18 Uhr fand eine Hanfmodenschau statt. „Sieht doch gar nicht so schlecht aus“, ist dabei der meistgebrauchte Kommentar des Moderators. Das kann man als Zuschauer zwar nicht in jedem Moment ausreichend beurteilen, weil manchmal jemand doch etwas zu lange auf den Auslöser der Nebelmaschine gedrückt hat. Aber die Resonanz und Anteilnahme beim Publikum sind groß. Ob das allerdings allein an den gezeigten Hanfmoden oder nicht auch zu einem beachtlichen Teil an den Models mit liebenswertem Amateurcharme liegt, mag dahingestellt bleiben. Zumindest ist bei dem jungen Mann, der ganz graziös die Hanfkleidchen vorführt, die allgemeine Begeisterung am größten.

Trotz der Eintrittspreise – eine Tageskarte kostete 60 Mark – war auch die Konferenz sehr gut besucht. Bei den meisten Vorträgen waren weit über 100 Zuhörer und Diskutanten anwesend. Drei thematische Schwerpunkte bestimmten die Konferenz. Am ersten Tag wurde von Hanfbauern, Verarbeitern und Agrarexperten über die aktuellen Perspektiven des Nutzhanfs referiert.

Der Samstag war dem Schwerpunkt Medizinalhanf gewidmet. Ärzte, Wissenschaftler und Patienten berichteten über ihre Erfahrungen mit der Nutzung von Cannabis als medizinisches Therapeutikum.

Am letzten Tag stand die Auseinandersetzung mit der aktuellen Hanfpolitik auf der Tagesordnung. Dabei standen die Förderung einer ganzheitlichen Nutzung des Rohstoffs Hanf und Modelle zur Beendigung der Prohibition von Cannabis im Mittelpunkt.

Mathias Bröckers, Gründer des HanfHauses und Mitinitiator des Festivals, ist mit dem Verlauf der „Ernte '96“ rundum zufrieden: „Bei allen Beteiligten und Besuchern kam gute Laune auf. Es herrschte ein guter Geist.“ Es seien zahlreiche interessante Kontakte zustande gekommen und zukünftige gemeinsame Projekte besprochen worden, und zwar sowohl zwischen den Ausstellern als auch mit den Besuchern. Auch der Austauschbedarf unter den Experten auf dem Symposium sei beachtlich gewesen. „Auf manchen Hanfmessen in Amsterdam läuft man ständig durch dichten Nebel, und alle sind nur breit. Andere Nutzhanfmessen wiederum sind nur langweilig.“ In der Ufa-Fabrik habe die Mischung gestimmt, das gesamte Spektrum des Hanfs sei abgedeckt worden. Bröckers Resümee: „Die Euphorie ist nach wie vor ungebrochen. Wir kommen also gar nicht mehr drumherum, nächstes Jahr wieder eine Hanfmesse zu veranstalten.“

Zum Abschluß der Veranstaltung stiegen noch Hunderte Luftballons in den Berliner Abendhimmel auf, selbstverständlich nicht inhaltsleer. Dazu Organisator Achmed Khammas lakonisch: „Warum sollen Ballons unbesamt herumfliegen?“