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Ratloser Wirtschaftsrat

■ Die Fünf Weisen prognostizieren für 1997 ein bißchen Wachstum, mehr Arbeitslosigkeit und ein Haushaltsdefizit, das für die Währungsunion zu hoch ist

Berlin/Bonn (taz/AP/dpa) – Die Konjunktur wird sich 1997 leicht erholen, aber es hilft alles nicht: 100.000 Menschen werden zusätzlich arbeitslos, und die Regierung wird mit einem Defizit von 3,3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts die Maastricht-Kriterien für die Währungsunion nicht einhalten können. Das ist die zusammengefaßte Prognose des „Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung“. Finanzminister Theo Waigel widersprach der Defizit-Prognose schon mal kategorisch.

Die „Fünf Weisen“, das sind Wirtschaftsprofessoren, die einmal im Jahr für die Regierung eine Konjunkturprognose und dazu wirtschaftspolitische Empfehlungen zusammenstellen, gehen für das kommende Jahr von einem Wachstum von 2,5 Prozent aus – genau wie auch die Wirtschaftsforschungsinstitute in ihrem Herbstgutachten und die Regierung selbst. Nur die vom Deutschen Industrie- und Handelstag kürzlich befragten Unternehmer sind mit 1,5 Prozent deutlich pessimistischer. Alle Auguren sind sich einig, daß Ostdeutschland im nächsten Jahr den Anschluß verlieren wird. Die Fünf Weisen gehen von nur 2,25 Prozent Wachstum für die neuen Bundesländer aus.

Die Sachverständigen warnen, daß sich der Aufschwung nicht selbst trägt; dazu seien die Investitionen zu gering. Das bißchen Wachstum sei im wesentlichen auf eine günstige Weltkonjunktur zurückzuführen. „Solange in der Finanzpolitik das Hin und Her weitergeht und solange die Lohnpolitik den Durchbruch nicht schafft“, werde man mit verstärkten Investitionen „schwerlich rechnen können“, schreiben die Experten.

Die Wirtschaftspolitik habe ihre Ziele komplett verfehlt. Sie sei weder einem angemessenem Wachstum noch einer Senkung der Arbeitslosigkeit näher gekommen. 4,065 Millionen Menschen werden 1997 ohne Arbeit sein, das entspricht einem Anstieg der Arbeitslosenquote von 11,4 auf 11,7 Prozent. Damit zeigt sich einmal mehr, daß ein Wachstum von unter drei Prozent nicht ausreicht, um die Arbeitslosigkeit zu senken. Kein Wunder, wenn die Produktivität jährlich mit 3 Prozent stärker zunimmt als die Produktion.

Der wirtschaftspolitische Sprecher der SPD im Bundestag, Ernst Schwanhold, wertete das Gutachten als deutliche Kritik an der Regierung. Jedoch fügte er hinzu, daß wohl auch bei den Weisen selbst allgemeine Ratlosigkeit herrsche. Die Sachverständigen empfehlen Reformen der Steuerpolitik, die eine Entlastung der Bürger bringen müsse. Außerdem propagieren sie einen Umbau der sozialen Sicherung, bei der sie mehr Eigenbeteiligung der Versicherten einfordern, und eine Öffnung der Tarifverträge für betriebsinterne Vereinbarungen. lieb

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