: Japans Großanleger suchen Stabilität
■ Der Fernmelderiese NTT hat viele seiner Aktionäre erst mal arm gemacht. Ein warnendes Beispiel für deutsche Anleger?
Die unglaubliche Talfahrt ihres Fernmelderiesen Nippon Telegraph (NTT) scheint japanischen Großanlegern offenbar kein warnendes Beispiel zu sein. Tatsächlich könnten Tokioter Lebensversicherungen und Pensionskassen in den nächsten Tagen zu den wichtigsten Großinvestoren der Deutschen Telekom zählen, wenn diese ab heute in Frankfurt, New York und Tokio an die Börse geht.
„Japanische Lebensversicherungen wollen ihre Anlagen im Ausland erhöhen und suchen dafür stabile Unternehmen“, sagt Kiyoshi Kimura, Filialleiter des französischen Wertpapierhauses Societé Géneral in Tokio. „Für diese konservativen Anleger könnte die Deutsche Telekom eine ideale Investitionsmöglichkeit bieten.“
Behält Kimura recht, und die Versicherungsriesen von Mitsubishi und Mitsui steigen in die T-Aktie ein, würden die japanischen Anleger ihre Erfahrungen mit NTT im Jahr 1987 schlicht ignorieren. Damals ließ sich die größte Aktiengesellschaft der Welt mit einem Kurs von 1,2 Millionen Yen an der Börse registrieren. Anschließend stieg der Wert der NTT-Aktie auf über 3 Millionen Yen. NTT war bald teurer als alle an der italienischen Börse notierten Unternehmen zusammen. Aber der Irrsinn währte nur wenige Monate. Noch im gleichen Jahr begann der größte Wertverfall eines Einzelunternehmens in der Weltgeschichte. 1992 war die NTT-Aktie auf ihrem Tiefstpunkt nur noch 430.000 Yen wert, und bis heute hat sie sich kaum erholt: Sie liegt derzeit bei 800.000 Yen.
Deutsche-Telekom-Manager reden deshalb nicht gerne über NTT. Dabei gibt es so viele Parallelen. Genau wie heute in Deutschland versprachen sich Regierung und Unternehmen bei der Börseneinführung von NTT einen Massenzulauf von Kleinanlegern. Das japanische Sparvolk hatte die Börse bis dahin weitgehend gemieden.
Das alles änderte sich nach 1987 dramatisch und verheißt den deutschen Sparern, die jetzt auf Aktien umsteigen, keine ruhige Zukunft. Zumal die Deutsche Telekom über Jahre hinweg unter den gleichen Problemen wie NTT leiden dürfte. Nichts wird einfacher werden, wenn erst einmal neue Konkurrenten den Markt besetzen. Wie in Japan werden auch in Deutschland die Preise für Ferngespräche sinken. Wie NTT wird dann auch die Deutsche Telekom auf die Erhöhung jener Tarife drängen, wo sie vorerst Monopolist bleibt. Spätestens dann aber wird das Mitleid aufhören. Denn eines zeigt das japanische Beispiel deutlich: Wann immer es um eine Interessenabwägung zwischen den Abermillionen Endverbrauchern am Telefon und den Abertausenden NTT-Aktionären ging, entschied sich Tokio für die Verbraucher. Bonn wird sich kaum anders verhalten.
Natürlich gilt NTT trotzdem noch als eine Zukunftsinvestition. Natürlich könnte NTT wie die Deutsche Telekom auch im 21. Jahrhundert noch zu den Branchenriesen zählen. Doch ein Renner ist die japanische Fernmeldeaktie derzeit wahrlich nicht, und sie hat bereits viele japanische Anleger arm gemacht. Nicht nur japanische Großanleger sollten das wissen. Georg Blume, Tokio
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen