: Arisches Blut - böses Blut?
■ Der Israeli Dan Bar-On über die Kinder der Täter und die Kinder der Opfer und den Dialog
Tiefe Spuren, Wunden, die auch die Zeit nicht immer heilen kann, hat die Shoa bei den Überlebenden des Nazi-Terrors hinterlassen. Ihre traumatischen Erfahrungen haben sich auch im Leben ihrer später geborenen Kinder niedergeschlagen. Viele konnten nicht darüber reden, andere wollten vergessen und das Schweigen lastete schwer auf den Kindern der Opfer. Eine ähnliche Erfahrung machten die Kinder der Täter. Nur wenigen ist es gelungen, die Mauer des Schweigens in ihren Familien zu durchbrechen. Erst Anfang der 80er Jahre hat eine gesellschaftliche Auseinandersetzung mit den Folgen der Shoa für die Deutschen begonnen. Damals war der israelische Psychologe Dan Bar-On der Erste, der Gespräche mit Kindern von Nazi-Tätern führte. Darüber, und wie er sie mit Kindern von Überlebenden zusammenbrachte, erzählt sein Buch „Die Last des Schweigens“. Auf Einladung der Bremer Freunde Israels berichtete Dan Bar-On am Sonntag in Bremen. Die taz hat mit ihm gesprochen.
taz: Kinder von Überlebenden beschreiben, daß sie oft nur eine Ahnung darüber hatten, was wirklich mit ihren Eltern geschehen war. Ihre Ängste trugen sie „wie in einem eisernen Kasten“ mit sich. Wie sind Ihre Erfahrungen mit Überlebenden-Familien?
Dan Bar-On In israelischen Familien lief das beispielsweise so, daß der Vater nichts von seine Zeit im KZ erzählt hat. Er schrie in seinen Träumen, das Kind wurde davon wach und hat die schlimmsten Phantasien dazu. Der Vater aber schweigt. Psychologisch bedeutet das, daß das Kind retraumatisiert wird. Sicherlich wird das Kind durch die Berichte darüber nicht befreit, aber die Belastung durch das Verschweigen ist sehr groß. Es ist, als hätten die Eltern eine Mauer zwischen ihr Trauma und das neue Leben, wozu auch die Kinder gehören, gesetzt. Die Kinder fühlen diese Mauer und bauen eine eigene Mauer dagegen. Es entsteht eine Doppelmauer, und nur schwer lassen sich Fenster der Kommunikation öffnen. Wenn die Kinder hören, was mit ihre Eltern durchgemacht haben, können sie es verstehen und sich ihnen annähern.
Was geschah in den Familien der Täter?
Dort wurde auch verschwiegen. Aber was bei diesen Familien anders ist: Die Täter sind nicht bereit, Verantwortung für ihre Handlungen zu übernehmen. Wenn die Kinder deren Vergangenheit entdecken, werden sie damit von den Eltern allein gelassen. Und die Gewissheit einen Täter-Vater zu haben, befreit das Kind nicht. Im Gegenteil, es übernimmt häufig die Verantwortung stellvertretend für den Vater. Davon kann es sich schwer lösen.
Wie wirkt sich das auf das Leben der Kinder aus?
Ich kenne Leute, die ihr Leben lang belastet oder selbstmordgefährdet sind. Andere verdrängen es völlig. Die führen zwar ein normales Leben, aber dafür müssen sie unendlich viel Energie aufbringen.
Kann man sagen, daß die einen das Trauma erben und die anderen die Schuld?
Schuld existiert auf beiden Seiten, aber in unterschiedlichen Formen. Bei den Opfern gibt es die Überlebensschuld gegenüber den Ermordeten. Das fühlen die Kinder und es braucht lange, bis sie das bearbeiten können. Die Kinder von Tätern dagegen fühlen die Schuld, die die Eltern nicht haben wollen.
In Ihren Studien haben Sie festgestellt, daß Kinder von Tätern im Durchschnitt weniger oder keine Kinder bekommen bzw. alleine leben.
Sie haben Angst, das Böse weiterzugeben. Es gibt das so furchtbare Ideen, daß das „arische Blut das böse Blut ist“. Oder sie befürchten, ihre Kinder mit der Geschichte weiterzubelasten.
Sie haben mit über 90 Kindern von Nazi-Tätern gesprochen – darunter auch eine Frau aus Bremen, deren Vater hier in der Pogromnacht einen Juden ermordet hat. Was hat sie dazu bewogen? Ich wollte wirklich wissen, wie sie damit leben. Und mir war klar, daß diese Gruppe darüber nicht reden darf, weil es die deutsche Gesellschaft nicht erlaubt. Teilweise hatte mein Interview für sie den therapeutischen Effekt, endlich sprechen zu können. Einige sind in der Selbsthilfegruppe, die ich 1988 initiiert habe. Der Psychologe Tilman Moser sagt, daß die Ereignisse in den deutschen Familien eingelagert sind, wie unterirdische Giftmülldeponien. Wie kann das Schweigen gebrochen werden?
Die Enkel der Überlebenden haben da viel verändert, geöffnet. Ihre Großeltern reden mit ihnen. Die Enkel der Täter schaffen das meistens nicht. Die treffen, wie ihre Eltern, auf das Schweigen. Das wird gesellschaftlich unterstützt: Zwar hat man dort alle Fakten bearbeitet, nicht aber die emotionalen Folgen des Krieges und der Shoa, Gefühle wie Trauer. Das ist eine Voraussetzung für die Bearbeitung.
In Bremen gibt es eine heftige Debatte um die Ausstellung über die Verbrechen der Wehrmacht. Was könnte, psycholgisch gesehen, der Hintergrund dafür sein?
Wenn man die Beteiligung der Wehrmacht anerkennt, dann müssen viele Personen anerkennen, daß das „Böse“ auch in den eigenen Familien existent war. Dann muß jeder anfangen zu fragen, wo war mein Vater, Großvater. Was hat er gesehen, getan? Dann kann man die Schuldfrage nicht mehr weit von sich weg halten.
Beate Hoffmann
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