: Alles, was Kinder wollen
Fährt Panzer, dreht endlos an Computern rum: Richard D. James alias Aphex Twin, der „Beethoven des Techno“, spart das Ausgehen und macht das Daheimhören jetzt noch kuscheliger. Ein Beitrag zur Spieltheorie ■ von Sascha Kösch
Cornwall, Geburtsort des Aphex Twin, ist für jeden Engländer ein Anlaß zu Verklärt-Mythischem. Heimische Folklore dürfen wir uns ja generell nicht leisten, aber sobald sie dann außerhalb der eigenen Staatsgrenzen auftaucht, geben wir uns ihr schleunigst hin. Besonders gerne, wenn es um Pop geht. Oder eben Cornwall.
Ähnliche Überlegungen müssen dem Imageberater von Richard D. James, wie Aphex mit Geburtsnamen heißt, durch die Schläfen geschossen sein, als er den „Beethoven des Techno“ erschuf.
Von 1991, dem Beginn seiner Karriere, an war er sowohl Musiker als auch Mythos, mit ihm wurde aus der Mensch-Maschine des Techno ein technologisches Genie. Und ein unertragbar stringentes Image, das alle Marketingaspekte (im folgenden in Klammern, ganz rhizomatisch antihierarchisch unnumeriert) von Techno vorwegnahm ...
Schon „Digeridoo“, Aphex Twins erster Track, wedelte mit dem australischen Pendant zur Blockflöte als Zauberformel (Gimmick), kam aus dem Nichts (Verwuselung des Ursprungs), hatte schmuckerweise kein Firmenetikett (Anonymität) und brachte ihm, unter anderem, einen Gig auf der zweiten Mayday ein, wo er fast einen Stromausfall produzierte (Subversion durch Benutzung von Technologie „gegen die Bedienungsanleitung“) und unter dem Einfluß eines verirrten Stromflusses verwirrend gestikulierte (Nonverbale Kommunikation durch Bewegen von Körpern). Es war grandios.
Eine neue Ausdrucksform, die Sprache der Sprachlosen war der lick unter den neuen Jugendbewegungen. Und nahm nebenbei die Verantwortung auf sich, Techno- Filiationen wie Goa oder Ambient-Drum 'n' Bass zu erfinden, die uns bis heute Spaß machen.
Dinosaurier, Chirurg, Magier, Auto
Damit aber nicht genug. Ein Image Consultant muß sich seine Brötchen täglich schwer verdienen – und karrt folgerichtig eine Skurrilität nach der andern an.
Aphex Twin freut sich darüber wie ein kleines Kind und darf die Presse bei Promotionterminen mutig mit einem lapidaren „Identität interessiert mich nicht“ anschweigen, weil sie ohnehin genug zu reden hat. Aphex Twin fährt nämlich einen Panzer (na ja: ein besseres Kettenfahrzeug) ohne Führerschein, sieht immer sehr debil bis abwesend aus, hat ein eigenes Label, den ersten coolen 5-LP- Vertrag der Technogeschichte; er kann Synthesizer bauen – oder zumindest modifizieren – oder, wenn nicht das, wenigstens so klingen lassen, als seien sie modifiziert, kennt Namen von Mineralien auswendig, deren Namen so unwahrscheinlich wie ihr Vorkommen sind, kurz: Er ist alles, was kleine Kinder gerne sein wollen. Dinosaurier, Chirurg, Magier, Herrscher und Auto.
Seine Gemeinde, die die Firma Warp (der 5-LP-Vertrag) durch cleveres idiomatisches Reinvestment mit der Erschaffung des Terminus „Intelligent Dance Music“ gleich nach mehr aussehen ließ als einem einfachen Haufen pseudohippieesker Posthackerslackertypen mit Neigung zu besagter Folklore und einem Hang, Tanzveranstaltungen als eine neue Form des Survivaltrainings zu sehen, ist folgerichtig treu, ergeben, initiiert und glücklich. Auch fördert die unerschöpfliche Produktivität des Meisters immer wieder neue Frühwerke zu Tage, deren innovativer Charakter immer wieder gebührend zur Kenntnis genommen wurde.
Bildet ein, zwei, viele Aphex Twins!
Aphex Twins von der Presse gerne zum Thema gemachte Schlaflosigkeit hat keinerlei Einfluß auf seinen Haarwuchs und bereitet dem bösen Gesicht der Technoglatze ein jähes, wenn auch dehnbares Ende. Man freut sich über den untechnoidesten Technoact aller Zeiten und will ihn flugs für sich haben.
New-Ager, Indierocker, Hobbyanalytiker und die Zeilenfüller von Trendmagazinen entdecken ihn jeweils für sich ganz alleine. Gemeinsam ist allen, daß der Aphex Twin unter dem Deckmantel „Homelistening“, der Hörerhaltung, die das Nicht-mehr-ausgehen-Müssen so viel kuscheliger macht, eine für alle Projektionen offene intime Gegengeschichte von Techno anbietet – den sogenannten Zwilling, „der selten allein kommt“.
Dabei wollte er einfach nur tun, was man heutzutage so tut, wenn man registriert, daß ein globaler Infantilismus nicht nur für einen selbst der perfekte Lebensstil ist, sondern überall auch noch perfekte Resonanzen erzeugt; daß man sich nicht mehr wie Salingers Helden umbringen muß – weil die Welt sich verschworen hat, einen glücklich zu machen. Da erzählt man auch schon mal eine nette Geschichte.
Die Geschichte hinter seiner neuen LP „Richard D. James“ und der dazugehörigen Single „Boy/ Girl“ ist die, daß letztere seinem bei der Geburt verstorbenen Zwillingsbruder gewidmet ist, erstere ihm selber. Identität mag den Aphex Twin nicht interessieren, Identitäten allerdings um so mehr, schließlich lebt auch er in den 90ern und denkt per se alles in vor Freude wild winkenden Anführungszeichen der Präsenz. „Es ist so, daß ich, so albern es auch klingt, immer gefühlt habe, daß er [der tote Bruder] auf mich aufpaßt. All das Glück, das ich immer habe, daß alles für mich immer richtig läuft. Ich habe mich immer von einer Art Anwesenheit beschützt gefühlt. Ob es nun ich bin oder er, ich dachte immer, es wäre er. Wer auch immer diese Gedanken in meinen Kopf getan hat.“
Richard James klingt wie der lebende Beweis für die Existenz des Dekonstruktivismus außerhalb philosophischer Zirkel. „Dekonstruktion ist nicht das, was du denkst, aber daß man denkt, könnte schon Dekonstruktion sein“. Könnte. So wie er ein Mädchen sein könnte. Oder ein Junge, ein Toter oder ein Lebendiger, ein Aphex Twin oder auch zwei – wie gesagt, Identität interessiert ihn nicht, nur das dazwischen.
Aphex, so sehr er auch stilprägend sein mag, liegt immer daneben. Er kann keine richtigen Drum-'n'-Bass-Tracks machen, weil er – wer auch immer das sein soll – es nicht will, auch kann er keine House-, Techno-, Trance-, IDM- oder Was-auch-immer-Tracks. Stil liegt ihm nicht. Methode schon. Und seit neuestem ist der Aphex Twin auf Tonträger auch nicht mehr so viele Jahre hinter dem Aphex Twin im Studio hinterher. Der Abstand zwischen ihm und den anderen hat sich verringert – wenn es ihn außer in seinem Kopf überhaupt noch gibt oder je gegeben hat.
Aphex Twin ist so now, wie man nur sein kann. Hat er jahrelang mit seinem „selbstgebastelten“, modifizierten Equipment produziert, kann er nun, Internet sei Dank, mit modifizierter Software arbeiten. Er hat Fans unter den Programmierern – das hatte sogar er erwartet. Liebhaber von Komplexitäten erkennen sich sofort, denn sie fallen geradezu auf inmitten des seriellen Meeres ununterscheidbarer Homogenitäten.
„Ich mag minimale Dinge, aber für meine Musik ist das nichts, was ich in der näheren Zukunft machen möchte. Ich stehe auf den Gedanken, Stücke kürzer und komplexer zu machen.“ Und wieder bescheinigen wir ihm umsichtigste Wortwahl. Nicht kurz oder komplex muß es sein, es soll kürzer und komplexer werden. So wie das D mit dem Punkt in seinem Namen ein komplexeres, kürzeres Werden bezeichnet, als es sein Name ohne D. könnte. „Es war immer so etwas in meinem Kopf, daß ich den Unterschied zwischen den beiden herausstellen muß.“ Ganz so, als wäre Verantwortlichkeit eine Sache, für die man einfach nichts kann.
Und so darf seine Schwester stolz mit seinem Panzer posen, er kann stolz seinen Vater cool finden, das Gelächter seiner Mutter sampeln und seine Freunde als endlose Proliferation von Aphex Twins in der Welt sehen, die nicht er ist. Achtung! Aphex Twin hat die Lösung aller Generationen-, Geschlechter-, Sozial- und musikalischen Konflikte gefunden: Panzer kaufen. „Ich bin so froh, daß ich das gemacht habe. Es ist wie ein gigantisches ferngesteuertes Auto, mit großen Antennen hintendran, und man denkt, daß sich irgendwo jemand mit der Fernbedienung verstecken muß.“
Und wer jetzt denkt, wow, was für eine Leistung, der wird nicht erstaunt sein, daß er damit nicht halt macht. Aphex Twin treibt sich im Netz herum und sucht nach der Lösung der medialen Konflikte. Sein bislang letztes großes Projekt: die direkte Verbindung von Visuellem und Akustischem. Er will und wird seine Stücke malen können. So wie die Grimassen seines Gesichts auf seinen letzten beiden LPs. Man soll ihn sehen – und den anderen. Interfacedesigner. Vielleicht der einzige Beruf der Zukunft.
Aphex Twin: „Richard D. James“ (Warp/Rough Trade)
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