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Vergeßt Lametta, der Plaste-Baum kommt!

■ Blattgoldkugeln? Terracotta? Oder High Tech-Gimmicks? Wer die Wahl hat, hat die Qual beim Christbaumschmuck

Jetzt spielen auch noch die Trends verrückt. Da hatte man sich schon darauf gefaßt gemacht, daß die modischen Accessoires, die den Tannenbaum auch dieses Weihnachten von einem Naturprodukt in einen gestylten, hippen Nadelträger verwandeln, so neu und niedagewesen sind, daß es dem Freund gepflegten Weihnachtsbrauchtums schon einen Asbach-Uralt wert ist. Auf Weihnachtsmärkten und in Weihnachtsspezial-Geschäften wurde man schon auf die ultimative Trendfarbe – champagner-gold – eingeschworen, da beweist ein Blick ins Archiv: Schon vor zwei Jahren hieß die „Trendfarbe in der Musikengel-Gruppe champagner-gold“! Und zwar beim Deko-Großmarkt „Marco Polo“ in Achim, dort wo sich 7.000 Deko-Artikel stapeln, 30 Prozent davon zur dekorativen Ausschmückung am und um den Weihnachtsbaum herum. Ins Hintertreffen geraten ist Blau, ganz vom Markt verschwunden ist Lila.

Wer im Trend liegen will, braucht Terracotta in allen Variationen: als Christbaumkugeln oder sonstwie figürlich zum Zwecke des dekorativen „Ganzjahreseinsatzes“, wie Marco Polo-Geschäftsleiter Werner Feuss weiß. Vollkommen vergessen darf man dieses Jahr Lametta. „Da ist keine Musik und keine Innovation drin.“ Der Grund liegt nicht zuletzt im Ökologischen. Auch wenn in den modernen Silber- und Goldfäden kein Blei mehr drin ist – metallhaltig ist das Lametta immer noch, die Entsorgung des Baumes damit problematisch. Ebenso unaktuell: Wunderkerzen und Lichterketten mit immer unbegrenzterer Birnchenzahl. „Massenware“, sagt Feuss. Wohlgemerkt, die Rede ist vom leicht gehobenen Geschmack. Und der hat dieses Jahr auch Spaß an hauchdünn blattvergoldeten Baumkugeln. „Wenn man die Schicht abkratzt, hat man nicht mal für zwei Pfennig Gold.“ Dann doch lieber gebürstetes Messing, kombiniert mit den guten alten Metallclips, wo noch immer echte Bienenwachskerzen Aufnahme finden. In 50 Prozent Wachskerzen und 50 Prozent elektrische Kerzen würden abgesetzt, schätzt Abteilungsleiter Karl Voltjes, Abteilungsleiter im Karstadt-Adventsmarkt. Zu elektrischen Kerzen neigen Familien mit Kindern – sicherheitshalber.

Bei Karstadt stapeln sich denn auch die Lichterketten in allen Längen. Gekauft werden allerdings im Norden vor allem Ketten mit weißen Birnchen. Im Ruhrgebiet würden dagegen 80 Prozent buntfarbene Ketten abgesetzt, weiß Voltjes. Bremen liebt es klassisch-gediegen. Oder doch nicht? Weihnachts-Gimmicks in allen elektronischen Spielarten hält der Adventsmarkt jedenfalls auch bereit: Der „Rocking Santa Claus“ schaukelt, was die Batterie hält im Lehnstuhl, und schnarcht Wunsch am Gabentisch. Ein anderer Neuzeit-Nikolaus klettert allein eine Leiter hoch und plumpst dann gegebenenfalls in den Schornstein. Wenn schon am Heiligen Abend nicht mehr gesungen wird und das TV anstandshalber mal ausgeschaltet bleibt, sorgen High-Tech-Christbaumkugeln dafür, die lähmende Stille zu vertreiben. 20 Melodien halten die Kugeln bereit, stilecht am besten mit den Luvi-Kunststoffbäumen zu kombinieren, die hält der Markt auch bereit: zu beliebiger Höhe aufsteckbar, die Zweige platzsparend nach oben klappbar, nadelt nich'. Täuschend ähnlich einem echten Nadelträger, müßte auch ein Partisan des natürlichen Tanns zugeben.

250 Mark kommen schon zusammen, wenn ein Weihnachtsbaum sach- und fachgerecht geschmückt werden will. Ohne Baum, versteht sich. Doch die meisten Leute schleppen noch genügend Deko-Altlasten von vergangenen Festen mit sich herum und kaufen gezielt Einzelteile nach. Gegebenenfalls auch noch ein Set Christbaumkugeln in Lila. Doch Eile ist geboten. Geschäftsführerin Fritz von „WeihnachtsTräume“, einem ganzjährig auf Weihnachtsdekoration spezialisierten Fachgeschäft im Schnoor, muß viele Kunden unverrichteter Dinge wieder wegschicken: „Die Cleveren haben schon eingekauft. Jetzt gibt's nur noch Reste.“ Alexander Musik

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