Village Voice: Unfröhliche Weihnachten
■ Neues von Column One & DJ Uncle Brain-Bridge, Infamis
Bester Satz aus der September-Ausgabe von evidence: „Manche Strategien sind so hanebüchen, die schwimmen sogar auf Milch.“ Und es gibt Platten, die sind derartig hanebüchen, die versinken sogar im Whirlpool, dessen kalte Songs ja nun von Disco zu Disco weitergereicht werden, ohne daß dabei viel Nutzwert abfiele. Eines dieser eher uncoolen Schwergewichte ist Classic Chill Out Rhythms, präsentiert von Column One & DJ Uncle Brain-Bridge. Dahinter verbergen sich Robert Schalinski, René Lang und Anhang, die schwer multimedial arbeiten und als Dauergäste im Potsdamer Waschhaus immer mal wieder performen oder Videos installieren. Doch wie bei allen Gesamtkunstwerkern hängt alles mit allem zusammen. Ihre kreativen Aktivitäten sind so umfassend, daß die Fußnoten im Hühnerstall Motorrad fahren.
Burroughs-Imitator Jürgen Ploog, das sozialistische Patientenkollektiv, der bekannte französische Science-fiction Autor Jean „Hyper Hyper!“ Baudrillard und der englische Meisterkoch Genesis P. Orridge müssen herhalten, um mittelmieses Ambiente als schwer kultverdächtig anzupreisen. Und wozu das alles? Weil das Jahr 2000 nicht stattfindet? Nichts da. Um die eindimensionale Beschaffenheit der Zeit als Tendenz zur Unterdrückung wirklicher Veränderungen in der westlichen Kultur abzuschaffen – oder so ähnlich.
„Your Funky DJ“ soll tatsächlich Charles Manson simulieren, wo doch Guy Debord locker gereicht hätte, um wenigstens hochgezogene Augenbrauen zu verursachen. Genau das richtige Weihnachtsgeschenk für Körper ohne Organe also, die auf das Ladomat-2000-Zeugs abfahren, rhizomatisch frei flottieren und auch ansonsten alle Signifikanten im Schrank haben – der Rest der Welt besorgt sich besser mal den erfreulichen Output von To Roccoco Rot.
Und leider schalten wir jetzt nicht direkt um zur Durruti Column, sondern schlagen gleich nach der Werbung für die Elektronauten (Prima Vorabtape!) ein weiteres trauriges Kapitel der örtlichen Musikgeschichte auf. Infamis melden sich nach dem von Wolfgang Rindfleisch produzierten Debüt „Metaphysics“ mit Fake Rhapsody wieder zurück – mit freundlicher Unterstützung von Britannia Theatre und den Inchtabokatables. Wer immer bei dieser Band den „Katalog mathematisch-kalter Grausamkeiten“ der guten alten Joy Division, die „in Form gebrachte Zerstörungswut“ der noch besseren alten Sonic Youth oder Nick Caves „staubige Whiskey-Visionen“ entdeckt haben will – halb daneben ist auch vorbei.
Auch wenn ein Songtitel wie „X-mas Plagiarism“ schon irgendwie neugierig macht, diese durchaus durchschnittliche Mischung von Pathos, Expressivität und minimalistischem Geschrammel kann ganz schön nerven. Denn weder die Verzweiflung von Stücken wie „She's lost control“ noch die Energie der gesamten „Daydream Nation“ oder die Morbidität von „Kill Yr. Idols“ wird greifbar. Ob dazu das dunkle Getöne und Gestöhne auch nur annähernd an die Größe des düsteren Australiers heranreicht, bleibt mehr als fraglich. Tarwater täten's auch oder, wie es Sebastian Lütgert in evidence auf den Punkt brachte, als er die gute alte Milchschnitte als Riegel des Monats rehabilitierte: „Oft kopiert, nie kapiert.“ Gunnar Lützow
Column One&DJ Uncle Brain- Bridge: Classic Chill Out Rhythms (Dossier/EFA)
Infamis: Fake Rhapsody (Dark Empire/SPV)
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