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Manie für den ideellen Gesamtfranzosen

■ 20 Jahre nach seinem Tod wird André Malraux auf Wunsch des Staatspräsidenten Jacques Chirac als Held gefeiert. Heute wird sein Leichnam in den Panthéon umgebettet

Paris (taz) – Jedem, der's braucht, sein Vorbild: Frankreichs Staatspräsident hat sich für André Malraux entschieden – den vor 20 Jahren verstorbenen Kunsträuber, Schriftsteller, Spanienkämpfer, Résistant, Kulturminister, früheren Kommunisten und langjährigen Gaullisten. Jenen Malraux, der in seinem 75jährigen Leben von Abenteuer zu Abenteuer quer durch die Welt hastete, hat Jacques Chirac für sich selbst und für die französische Jugend zurückgeholt. Heute abend wird er Malrauxs verbliebene Überreste mit dem für solche Fälle üblichen republikanischen Pomp in den Panthéon überführen – den Tempel der großen Männer des Landes, in dem nur eine Frau ruht: die Nuklearphysikerin Marie Curie.

Für Malraux ist es der zweite große Auftritt im Panthéon: 1964 hielt er dort anläßlich der Überführung der Überreste des von der Gestapo ermordeten Chefs der kommunistischen Résistance, Jean Moulin, eine legendär gewordene Rede. Mit Tremolo in der Stimme ehrte der Kulturminister dabei die Verdienste des toten Kommunisten und zugleich die des anwesenden Präsidenten de Gaulle, dem er für die Vereinigung des Widerstands dankte.

Zu jenem Zeitpunkt war Malraux längst der Spagat gelungen, der ihn wie kaum einen anderen zur potentiellen Identifikationsfigur aller Franzosen machte. Er war in seiner Jugend Linker und Antikolonialist gewesen und hatte sich Jahrzehnte später mit seiner eigenen Tochter überworfen, weil die für die Unabhängigkeit Algeriens eintrat. Er war von einer marginalen Figur, die im französischen Indochina wertvolle Kunstobjekte geraubt hatte und dafür ins Gefängnis gekommen war, zum großen Mann der offiziellen Kultur geworden. Er hatte die Kulturhäuser aus der Sowjetunion nach Frankreich gebracht und zahlreiche Provinzstädte damit beglückt. Er hatte Kunstkritiken geschrieben und Bücher veröffentlicht, von denen manche ignoriert, andere verrissen und eines – „La condition humaine“ („So lebt der Mensch“) – 1933 mit dem französischen Literaturpreis Goncourt ausgezeichnet wurde.

„Malraux ist der Fantomas des Panthéon“, schreibt der einstige Freiheitskämpfer und spätere Regierungsberater Régis Debray, für dessen Freilassung aus bolivianischer Haft sich Malraux 1968 zusammen mit Jean-Paul Sartre einsetzte. „Er ist ein Kosmopolit und ein Patriot. Ein Ästhet und ein Partisan. Ein Prämoderner und ein Postmoderner. Ein Linker und ein Rechter. Jeder Franzose kann sich in ihm wiederfinden.“

Seit die Panthéonisierung Malrauxs – die erste der Amtszeit von Chirac – beschlossen wurde, ist in Frankreich die Malraux-Manie ausgebrochen. Das Kulturministerium plakatiert seit Wochen die Straßen und Metro-Stationen mit Malraux-Bildern und -Sprüchen. Zahlreiche Biographien des neuen Helden sind auf dem Markt. Seine Bücher werden neu aufgelegt, die Zeitungen veröffentlichen Sonderbeilagen. Die Fernsehsender widmen ihm Themenabende.

Was Malraux betrifft, sind sich alle einig. Erstens war er ein „großer Franzose“ und zweitens ein „großer Mann“. Darin widersprechen sich nicht einmal das konservative Flaggschiff Le Figaro und die kommunistische Parteizeitung L'Humanité. Beide Medien haben nur Männer über Malraux schreiben lassen, der jetzt endgültig in den Männertempel Panthéon einzieht. Das paßt: Zwar hatte Malraux zu Lebzeiten stets mindestens eine weibliche Begleitung, aber in seinen Büchern kommen Frauen, wenn überhaupt, nur am Rande vor. Malraux schrieb über Männer.

Gleichzeitig mit der Panthéonisierung wird das neue Vorbild von Chirac heute auch philatelisiert. Die Sonderbriefmarke Malraux zeigt den lebenslangen Kettenraucher, der in seinen Bücher auch Opium- und andere Drogengenüsse beschreibt, jedoch ohne sein Markenzeichen. Die ewige Zigarette wurde Malraux posthum wegretuschiert. Dorothea Hahn

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