Die Suche nach der verlorenen Jugend

Die SPD will auf ihrem jugendpolitischen Parteitag klären, weshalb die meisten Jugendlichen von ihr nichts wissen wollen. Jusos machen sich vornehmlich über ihre Parteibosse lustig  ■ Aus Bonn Markus Franz

Da ist einerseits eine millionenteure Anzeigenkampagne der SPD, um die Jugend für die Partei zu gewinnen. Andererseits macht sich der Parteinachwuchs genau über diese lustig. Da ist zum einen ein Leitantrag des Parteivorstandes der SPD mit 244 Einzelpunkten, über den vom kommenden Montag an abgestimmt weden soll. Und da ist zum anderen der Gegenantrag des Bundesvorstandes der Jusos. Da ist zwar der von Jusos und SPD-Vorstand gemeinsam getragene Antrag, eine Ausbildungsplatzabgabe zu fordern, doch die SPD-Ministerpräsidenten Johannes Rau, Gerhard Schröder und Kurt Beck sind dagegen. Kurzum: Es könnte spannend werden beim jugendpolitischen Parteitag der SPD, der am Montag in Köln beginnt.

Die Akzeptanz der SPD bei der Jugend ist nach eigener Einschätzung verheerend gering. Bei der Landtagswahl in Baden-Württemberg fiel die SPD gegenüber CDU und Grünen bei den jungen Wählern auf den dritten Platz zurück. Bei den männlichen Jungwählern erreichte sie nur kümmerliche 18,2 Prozent. In Rheinland-Pfalz verlor die SPD bei den Jungwählern fast 15 Prozent. Die CDU dagegen gewinnt an Attraktivität bei den Jugendlichen. In Rheinland-Pfalz hat sie acht Prozentpunkte dazugewonnen. Auch die Mitgliederzahlen bei der SPD sind zurückgegangen. Während 1974 fast ein Drittel der SPD-Mitglieder jünger als 36 Jahre war, sind es mittlerweile nur noch 15 Prozent.

Grund genug also für eine Jugendkampagne, die beim Parteitag ihren „vorläufigen Höhepunkt“ erreichen soll, wie SPD-Generalsekretär Franz Müntefering sagt. Zunächst wurde ein von einer Werbeagentur erdachtes peppiges Faltblatt unter die Jugend gebracht – mit Symbolen wie einem Schnuller für die Geburt, dicken Schlagworten wie „Gerechtigkeit“ sowie dem Bemühen um Kürze und Aufklärung à la „Warum duzt dich die SPD?“.

Der Parteinachwuchs reagiert ablehnend. „Eine Aktion ohne Substanz“, kritisiert das mit 24 Jahren jüngste Mitglied im SPD-Bundesvorstand, Benjamin Mikfeld. Juso-Vorsitzende Andrea Nahles findet die PR-Idee sogar „oberflächlich und anbiederisch“. Die Jugend wolle ernst genommen und nicht als „konsumfixierte, unpolitische Inlineskater“ abgetan werden, wie es im eigenen Antrag der Jusos zum Jugendparteitag heißt.

Im Leitantrag der Mutterpartei findet sich die Werbesprache nicht wieder. Unter Punkt 8 heißt es statt dessen: „Jugend bezeichnet mithin nicht mehr eine kurze Sozialisations- und Lernphase mit den Merkmalen einer bloßen Statuspassage, sondern wird zu einem offenen Lebensbereich, zu einer eigenständigen Lebensphase.“ Bei dieser Sprache nimmt es nicht wunder, daß Kerstin Griese, 29jährig und damit jüngstes Mitglied im Parteivorstand, sagt: „Sicherlich ist das Jugendmemorandum nicht das Papier, das man Jugendlichen in die Hand drücken kann, um sie für die SPD zu interessieren.“ Juso- Chefin Andrea Nahles erregt sich noch mehr: „Das wird fast nur noch rumgeschwallt.“ Sie droht: „Wir werden dagegen stimmen.“

Die SPD verfolge das Ziel: „Catch them all“ und versuche das dadurch zu erreichen, daß sie vespreche, immer hipper zu werden. „Die Jusos dagegen“, so Andrea Nahles, „wollen an den emanzipatorischen und reformatorischen Wurzeln der SPD ansetzen.“ Mit anderen Worten: statt einer schönen Verpackung mehr Inhalte, selbst wenn das für viele abschreckend wirkt.

Im SPD-Leitantrag liegt der Schwerpunkt auf vermeintlich jugendspezifischen Themen wie Ausbildung und Bildung. Die Jusos fordern dagegen nicht nur eine „Bildungsoffensive“, die sie „durch Heranziehung großer Vermögen“ finanzieren wollen, sondern auch Vollbeschäftigungsprogramme, den solaren Umbau der Gesellschaft, Einführung der Grundsicherung sowie eine höhere Erbschaftssteuer.

Während der Leitantrag ohne Selbstkritik auskommt, fordern die Jusos eine „Erneuerung der SPD“, weil sie „ökonomisch und gesellschaftlich an Grenzen“ gestoßen sei. Die Jungsozialisten weisen auch auf den Widerspruch hin zwischen Forderungen der Bundespartei und der Realität in den von der SPD regierten Ländern. „Es kann nicht sein, daß wir einerseits gegen Studiengebühren sind und andererseits in Berlin Einschreibegebühren von 100 Mark fällig sind“, sagt Andrea Nahles.

Fraglich ist allerdings, inwieweit die Jusos mit ihren allumfassenden Reformansätzen am Puls der Jugend sind. Bei einem Jugendtag, den Bundestagsfraktionschef Rudolf Scharping kürzlich in Bonn initiiert hatte, griffen die eingeladenen Schüler in erster Linie drei Themen auf: die Legalisierung von Cannabis, die Abschaffung des Wehrdienstes und die härtere Bestrafung von sexuellem Mißbrauch. Andrea Nahles, Vorsitzende der Jugendorganisation, war zu ihrem Ärger nicht einmal eingeladen worden.