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Rutschgefahr in Basler Kreuzgängen

■ Neustart am Theater Basel: Wildgruber als Richard III und die Uraufführung eines Dramas unbekannter Herkunft

Eines kann das personell runderneuerte Basler Theater jetzt schon für sich verbuchen: Man geht wieder rein und bleibt nicht auf dem Vorplatz bei Tinguelys wundersamem Brunnen oder Serras wuchtiger Stahlplattenplastik stehen. Leander Haußmann etwa, Intendant in Bochum, Filmschauspieler und gelegentlich auch Model, stürmt gestikulierend und mit steil nach hinten getrimmtem Haar in Richtung Eingang. Muß er wohl, denn sein Name taucht in der Liste der Regiegäste dieser Basler Spielzeit auf, und bis zum Frühjahr sollte er sich neben allen anderen Jobs auch noch mit Mozarts „Figaro“ beschäftigt haben.

Zum inzwischen üblichen Neustart-Fortissimo wartete die frische Basler Mannschaft unter Intendant Michael Schindhelm Anfang der Saison mit sechs Inszenierungen in acht Tagen auf. Am vergangenen Wochenende hat der neue Schauspielchef Peter Löscher zwei völlig unterschiedliche Premieren angesetzt. In der Komödie, hundert Meter vom Haupthaus entfernt, die Uraufführung von Lisa Engels „Mütternacht“. Und im Großen Haus Shakespeares „Richard III“ in eigener Regie.

Dort, im hallenartigen Foyer mit seiner schwungvollen und weit ausladenden Betondachkonstruktion, summte das Premierenpublikum wie in besten Tagen der Ära Baumbauer. Der kehrte Basel aufgrund überzogener Sparbeschlüsse den Rücken, um vom Hamburger Schauspielhaus aus zu beobachten, wie ein neuer willfährig-überforderter Intendant alles in den Sand setzte, was in den Sand zu setzen war.

Nach der Katastrophe mit Wolfgang Zörner und der anschließenden Interimszeit von Hans-Peter Doll beginnt nun also der Aufbruch zu neuen Ufern mit Hoffnungsträgern wie Ulrich Wildgruber, den Schauspielchef Peter Löscher in der Ensembleliste führen läßt, auf daß er während dieser Spielzeit eines sei und nichts anderes: Richard III.

Böser Knabe auf gefährlichem Terrain

Im Foyer stand das Basler Publikum noch einträchtig neben lebensgroßen hölzernen Doubletten seiner selbst, im Theaterraum sitzt es vor einer in ein dreifaches Kreuz aufgefächerten Bühne von Herbert Wernicke. Ganz unten ein großes Kieskreuz, auf dem das höfische Publikum der vorelisabethanischen Zeit unsicher stöckelt; ganz oben ein Bühnenhimmel in Form eines Beuysschen Braunkreuzes; und zwischen beiden ein schwarzes Kreuz als stark geneigte Spielfläche mit steilen Abgängen. Gefährlich, gefährlich!

Wildgruber wird denn auch nach einem Blackout unplanmäßig stürzen und massig die schiefe Ebene herunterrollen. Sollte er sich was getan haben? Dumm, denn dann müßten alle wieder heim, bevor es richtig losginge.

Er hat sich aber nichts getan und ist ein Richard der kindisch-trotzigen Art. Ein Intrigant und Mörder, den die Natur mit Hinkefuß und Buckel ausstattete und der nun zerstört, was ihn zerstörte, schlüge er nicht zuerst zu. So jedenfalls sieht er es, und Wildgruber spielt das mit der beiläufigen Nonchalance eines gehässigen Knaben, der bei jedem Wort, jedem Blick und jeder Zuckung des kleinen Fingers weiß, daß alles nur perfides Schauspiel ist.

„Oft handeln Männer ohne tieferen Sinn, erst später kommt die Zeit, zu bereuen“, sagt Richard. Wildgruber sagt das wie einer, der weiß, daß es keinen tieferen Sinn gibt und alles nur Schauspiel ist. Die Kunst liegt in der Inszenierung. Wer sich während der Herstellung von Künstlichkeit ertappen läßt, ist selbst schuld.

Richard läßt sich nicht ertappen, und Wildgruber macht aus ihm ein Basler Gesamtkunstwerk mit klug verzögerter Intonation, zuckenden Augenbrauen, stechendem Blick, ironischem Mundwinkel und jäh herumfahrender Körpermasse. Nur einmal – er wartet gerade auf zu hohem Thron mit baumelnden Beinen auf Tyrell, der für ihn die Neffen und Thronanwärter killen soll – nimmt er die Krone ab, wirkt müde und verloren. Sofort allerdings ironisiert Wildgruber das mit einer kindisch nach vorn gereckten Unterlippe und wird wieder zum nonchalant spielenden Richard.

„Buckelkröte“, sagt die alte Ex- Königin Margaret einmal zu ihm. Gespielt wird sie von Eleonore Zetzsche, die als einzige neben Wildgruber bestehen kann. Sie läßt ihre Stimme in Haßtiraden schnarren, bei einem vernichtenden Wort aus ihrem Mund scheint es selbst Richard kurz bange zu werden – wie dem bösen Knaben, dem die Großmutter mit Knecht Ruprecht droht.

Ansonsten hat man in Basel mit der Kehrseite der Starbesetzung „Wildgruber“ und einem bläßlichen Restensemble zu kämpfen. Selbst in einer der zentralen Szenen, wenn die gerade zur Witwe beförderte Elisabeth sich vom Mörder ihres Mannes umschmeicheln läßt, bleibt es auf den schrägen Kreuzen bei der One-man- Show.

Merkwürdige Veranstaltung: ein weit weg schwebender Wildgruber ohne Widerparts. Und ein Regisseur Löscher, der das Ganze immer mal wieder modisch peppen will.

Kannibalische Frauen, seltsam gebremst

Also rüber in die Komödie zur Uraufführung der „Mütternacht“, von deren Autorin, Lisa Engel, niemand außer dem Rowohlt Verlag weiß, wer sich hinter dem Pseudonym versteckt. Das Stück jedenfalls zählt mit seiner Personage von Großmutter, Mutter und zwei Töchtern inklusive einer Gratulantin zu den neuen postschwabschen Retortenbabys und könnte glatt als Versuch eines Remakes von Werner Schwabs „Präsidentinnen“ durchgehen.

Dialogische Entwicklungen gibt es natürlich nicht, die Damen schleudern ihre Tiraden ins beziehungslose Nichts. Das schwache Geschlecht der Männer ist bereits Stück für Stück ausgestorben; auf daß man nicht so ganz im eigenen Saft schmore, verkleidet die ältere Tochter sich am Ende als Klempner und wird verspeist. Muß so sein, ansonsten wäre das Stück nicht ganz auf der Höhe der Zeit – in bezug auf spritzendes Blut, fließenden Urin und Kannibalistisches, versteht sich. Denn der in „Mütternacht“ weidlich augeweidete Mutter-Tochter-Clinch bestimmte in den 70er Jahren die feministische Diskussion.

Mit Barbara Neureiter holte man sich eine jüngere Regisseurin nach Basel, die gerade mit dem „Sommernachtstraum“ und einer gemischten Besetzung aus Behinderten und professionellen Schauspielern auf Kampnagel in Hamburg Furore machte.

Sie siedelt die „Mütternacht“ allerdings in den gesicherten Regionen der schrillen Familiengroteske und in einer heruntergekommenen Kneipe im Marthaler-Stil an. Katja Reinke sticht als tortenmampfende ältere Tochter heraus, insgesamt aber ist Barbara Neureiters Inszenierung merkwürdig brav. Paradoxerweise, denn mit ihren Frauen, die immer mehr zu Karikaturen werden, wollte sie allem Anschein nach provozieren. Jürgen Berger

Theater Basel:

William Shakespeare:

„Richard III“. Regie: Peter Löscher, Bühne: Herbert Wernicke.

Mit Ulrich Wildgruber, Eleonore Zetzsche und anderen.

Lisa Engel: „Mütternacht“.

Regie: Barbara Neureiter,

Bühne: Kay Anthony.

Mit Hildburg Schmidt, Tanja von Oertzen, Annette Uhlen, Katja Reinke, Elisabeth Weber.

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